Den folgenden Kommentar habe ich am 15.02.11 bei www.ohrfunk.de veröffentlicht.Im Grunde hat sich nicht viel geändert. Hosni Mubarak ist zurückgetreten, nachdem er noch am Vortage vollmundig diesen Rücktritt abgelehnt hatte. Doch der Druck der Straße war zu groß, und schon bei seiner Rede wussten politische Beobachter, dass seine Amtszeit beendet war. Nur er selbst hatte es noch nicht bemerkt. Als die ersehnte Rücktrittsmeldung kam, feierten die Ägypter die ganze Nacht hindurch ihre Freiheit. Das Militär übernahm die Macht, die Demonstranten räumten nach und nach den Tahrir-Platz im Zentrum Kairos, wo die Proteste ihren Mittel- und Höhepunkt gefunden hatten. Das Militär löste das Parlament auf und setzte die Verfassung außer kraft. Dabei wurden Neuwahlen binnen 6 Monaten versprochen. Die Revolution hatte gesiegt.
Aber ist das die ganze Wahrheit? Wer sich jetzt auch im Ausland darüber freut, dass Mubarak endlich abgetreten ist, dem ist ein Blick in die jüngere Geschichte zu empfehlen. Im Jahre 1953 stürzten junge Offiziere den korrupten und prunksüchtigen ägyptischen König Faruk. Die Armee übernahm die Macht. Zu diesen Offizieren gehörten die späteren Präsidenten Nasser, Sadat und Mubarak. Träger der Staatsmacht in Ägypten ist seit den fünfziger Jahren das Militär. Und daran hat sich auch nach Mubaraks Rücktritt nichts geändert. Darum gibt es auch einige Leute, die den Tahrir-Platz nicht räumen wollen. 38 von ihnen sind verhaftet worden, niemand weiß, wo sie sich befinden. Das Militär beginnt seine offizielle Herrschaft zum Wohle des Volkes mit Repressalien gegen dieselben Leute, die es mit dieser Machtübernahme zu unterstützen vorgibt.
Eigentlich ist nichts besonderes geschehen. Der Präsident wurde ausgetauscht, der Druck von der Straße dadurch reduziert. Gleichzeitig löste man das Parlament auf, setzte die Verfassung einschließlich der Bürgerrechte außer kraft, und man versprach, die Allmacht in Händen, Neuwahlen, und zwar im selben Zeitraum, in dem auch Mubarak sie versprochen hatte.
Wenn man eine Revolution ausschließlich daran misst, dass der Staatschef ausgetauscht wird, dann haben wir in Ägypten tatsächlich eine Revolution erlebt. 18 Tage lang hielt der von der Jugendbewegung des 6. April getragene friedliche Protest eisern durch. Jetzt stehen einige der Organisatoren dieser Bewegung ohne Anhänger auf dem Platz und sehen, dass längst nicht alle ihre Forderungen erfüllt wurden. Das Militär hat es geschafft, die breite Front der Protestbewegung vorerst aufzubrechen und zu spalten. Und die Verhaftungen zeigen deutlich, das das Land am Nil nicht im eigentlichen Sinne eine Zeitenwende erlebt hat. Wenn man nämlich, wie die Führer der Jugendbewegung, die die Proteste fortsetzen wollen, Revolutionen an der Beseitigung eines Systems misst, dann haben die bislang so standhaften Ägypter ihr Ziel noch längst nicht erreicht. Es ist die alte Garde, die jetzt die Macht übernommen hat: Der Militärrat und die hohen Offiziere, die auch bislang Mubarak stützten.