Ein Gastbeitrag von Claudio Mondo
Tamar Welti | Bild: C. Mondo
Tamar Welti landete zufällig in Portugal. Die Urenkelin des bekannten Schweizer Malers Albert Welti hat in der Nähe von Santa Luzia ein verfallenes Bauernhaus renoviert. Heute vermietet sie auf Quintamar Appartements an Gäste und erntet auf ihrer biologischen Farm Gemüse sowie Oliven, Zitronen und Feigen. Die Nachfrage nach naturnahen und kinderfreundlichen Ferien ist gross, deshalb will Tamar ihr agrotouristisches Angebot ausbauen.“Wenn ich hinaus schaue auf die Mandelbäume und den Naturteich vor unserem Haus, geht mir manchmal durch den Kopf: Ich lebe ja im Paradies. Hier, in der Natur und am Meer, will ich alt werden“, sagt die 44-Jährige Schweizerin. Eine Einheimische ist sie nicht, eine Fremde auch nicht mehr. Ihr Mann Miguel ist Portugiese, ihre beiden Kinder gehen hier zur Schule.
In Tamar Weltis Adern fliesst schweizerisches, israelisches, deutsches und russisches Blut. Geboren ist sie in Israel, aufgewachsen in London. Aber am meisten zu Hause fühlt sie sich in Portugal, wo sie vor 25 Jahren Fuss gefasst hat. Hier hat sie mehr Zeit verbracht als anderswo in ihrem Leben. Ist die Algarve nun ihre Heimat? „Manchmal bin ich selbst nicht ganz sicher, wo ich eigentlich hingehöre“, sagt sie.
Chancen ergriffen
Mit 19 Jahren wollte sie die Schweizer Heimat ihres Vaters näher kennenlernen. Es wurde nichts daraus. Denn schon nach wenigen Wochen in Bern offerierte ihr ein Freund, der ein Haus in der Algarve vermietete, vor Ort ein paar Aufgaben für ihn zu übernehmen. Sie sagte spontan zu und war sofort angetan von der Region. Von Anfang an hatte sie das Gefühl, dass sich in dieser Atmosphäre gut eigene Ideen entwickeln lassen. Tamar fing an, als Englischlehrerin zu arbeiten. Und eines Tages, als sie mit dem Fahrrad unterwegs war, entdeckte sie ihren Traum: ein Bauernhaus, mitten im Naturschutzgebiet Ria Formosa, teilweise zerfallen und schon seit Jahr-zehnten unbewohnt. Zusammen mit ihrem Vater, einem Architekten, konnte sie das Haus erwerben und baute fünf Appartements – eines für sich und ihre Familie, vier Einheiten vermietet sie. Im Winter und Frühling erholen sich hier oft Paare, im Sommer und Herbst sind es vor allem Familien.
Attraktion für Tier und Mensch
„Wir versuchen, im Einklang mit der Natur zu leben und zu wirtschaften. Das schätzen unsere Gäste“, sagt Tamar. Der Name des Gutes Quintamar setzt sich zusammen aus dem portugiesischen „Quinta“ (Bauerngut) und ihrem Namen, Tamar. In der Ferne sieht man von Quintamar aus das Meer und hört, je nach Wellengang, auch das Rauschen der Brandung. Eine der Attraktionen der Anlage ist der natürliche Schwimmteich. Er ist 400 Quadratmeter gross, die Hälfte ist frei zum Schwimmen, die andere Hälfte ist von Pflanzen bedeckt, die das Wasser auf natürliche Weise reinigen. Dieser Mikrokosmos wird nicht nur von den Gästen, darunter viele Familien, geschätzt:
Auch Zugvögel kommen hier zu Besuch. Manchmal lässt sich auch ein Storch am Teich nieder und tut sich an den Fröschen gut. Der Schwimmteich ist bei den Gästen so beliebt, dass viele lieber „zu Hause“ bleiben, als ans Meer, rund 500 Meter entfernt, zu gehen. Dabei findet man am Strand von Barril auf der Ilha de Tavira, der nur zu Fuss oder per Boot erreichbar ist, auch im Hochsommer immer ein ruhiges Plätzchen.
Zu Quintamar gehören auch ein Spielplatz für Kinder und ein Gehege mit Hühnern, und drei vietnamesischen Hängebauchschweinen, die sich freuen, wenn sie die jungen Gäste füttern.
Frisches biologisches Gemüse
Mit der Casa O Pomar (portugiesisch = Obstgarten) verfügt Tamar seit zwei Jahren in der Nähe über ein separates Haus mit vier Zimmern. Dazu gehört auch die Farm. Hier produziert sie biologisches Gemüse sowie Oliven, Orangen, Zitronen, Feigen und Granatäpfel. Die Feigen trocknet sie auf traditionelle Weise. Aus den Oliven lässt sie Öl pressen oder mariniert sie. Gäste können das frische Gemüse und die Früchte direkt auf der Farm beziehen. Tamar hat zusammen mit anderen lokalen Bio-Produzenten aber auch einen Stand auf dem grossen Markt in Tavira.
Viele der Gäste von Tamar sind mit dem Fahrrad unterwegs, ein Auto ist vor Ort nicht unbedingt notwendig. Das Fischerdorf Santa Luzia, in dem auch heute noch die meisten Einheimischen vom Meer leben, ist nur gerade 500 Meter von Quintamar entfernt. Bis zum historischen Städtchen Tavira sind es drei Kilometer. Die Fahrradroute entlang der Algarve-Küste führt ganz in der Nähe von Quintamar vorbei.
Herzensprojekt Agritourismus
In den nächsten Jahren will Tamar ihr Herzensprojekt verwirklichen. Das Konzept des Agritourismus hat sie in der Schublade. Es soll 150 Meter Luftlinie von Quintamar entfernt umgesetzt werden. Dazu müssen zuerst die traditionellen Farmhäuser bei der Casa O Pomar und das halb verfallene Vistamar sanft renoviert werden. „Wir wollen den Charakter der historischen und über 200-jährigen Bauernhäuser erhalten“, sagt sie. Tamar schwebt dort auch ein Veranstaltungsraum für Gruppen sowie eine separate Küche vor, damit sie zum Beispiel auch Hochzeitsgesellschaften empfangen und mit den Produkten ihrer Farm bewirten kann. Noch ist es nicht so weit.
Spross einer Künstlerfamilie
Wenn es die Farm, die Vermietung der Appartements und die Familie einmal zulassen, widmet sich Tamar der Malerei. Die Kunst liegt ihr im Blut und ist ihr wichtig. Schliesslich kommt sie aus einer Künstlerfamilie. Von ihrem Urgrossvater väterlicherseits und dem Grossvater mütterlicherseits hat sie das Talent geerbt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Albert Welti einer der grossen Schweizer Maler und eng mit Hermann Hesse befreundet. Das Fresko der Landsgemeinde im Ständeratssaal des Parlamentsgebäudes in Bern stammt von ihm.
Die Landsgemeinde, Gemälde von Albert Welti , Bild über Wikimedia Commons
Spuren von Albert sind heute auch auf Quintamar zu finden. Der Entwurf seines Bildes „Haus der Träume“ hängt in Tamars Wohnzimmer. Auch ihr Grossvater, der als Bub dem Künstler Modell stand, ist auf dem Bild verewigt.
Leider finde sie viel zu selten, die Musse zum Malen, sagt Tamar. „Ich hoffe, ich kann mich irgendwann vermehrt der Kunst widmen, aber das hat noch Zeit.“