AG Hannover: Dann laden Sie sich die Formulare doch gefälligst selbst herunter!

AG Hannover: Dann laden Sie sich die Formulare doch gefälligst selbst herunter!

© Uta Herbert / pixelio.de

Man wird ja wohl von einem Schüler (oder seiner Mutter als Erziehungsberechtigten) erwarten können, dass er/sie eine Zwangsvollstreckung wegen rückständigem Kindesunterhalt gegen den Vater allein durchführt, oder? Dafür braucht man doch keinen Anwalt, heute hat doch jeder einen Taschenrechner, einen PC und einen Internetanschluss, da kann er sich doch die paar popeligen Formulare aus dem Netz runterladen, sich den Unterhaltsrückstand selbst errechnen, die ausgedruckten Formulare ausfüllen und dann loslegen.

Und dann gibt es ja auch noch die Rechtsantragsstelle des Gerichts, da kann man sich (notfalls in den nächsten Ferien, Kindesunterhalt ist ja nicht so eilig) hinwenden… wofür also einen Anwalt einschalten?

Dies ist jedenfalls die zusammengefasste (und hier dokumentierte) Auffassung des Rechtspflegers Richter am Amtsgericht Hannover, die dringend der Veröffentlichung bedarf, damit endlich diese die Staatsfinanzen zersetzende Antragstellung bzgl. Verfahrenskostenhilfe für die Zwangsvollstreckung in Kindesunterhaltssachen von geldgierigen Advokaten aufhört…

Aber Halt, Herr Richter, so einfach ist das Leben vielleicht doch nicht, denn man sollte sich einen Sachverhalt schon mal ein wenig genauer ansehen – wobei der Herr Rechtspfleger sogar in seiner ersten Verfügung im Rahmen des Bewilligungsverfahren für Verfahrenskostenhilfe meinen „treudeutschen“ Mandanten noch zu jemandem machte, der der deutschen Sprache nicht mächtig sei: dem sei nämlich trotzdem kein Anwalt beizuordnen, weil allein fehlende Sprachkenntnisse auch nicht ausreichen sollen, um einen deutschsprechenden Rechtsvertreter auf Staatskosten zu beteiligen (da habe ich die ganze Sache übrigens noch lustig gefunden, denn ich dachte, der Rechtspfleger habe nur den falschen Textbaustein erwischt…).

Schauen wir uns also den Sachverhalt näher an: mein gerade volljährig gewordener Mandant ist weiterhin Schüler und wird von mir schon seit mehreren Jahren betreut: seine Mutter kam mit einem Zwangsvollstreckungstitel gegen den Vater zu mir, schon damals waren Rückstände in fünfstelliger Höhe aufgelaufen. Wir haben dann wirklich alle legalen Register gezogen, um an Unterhalt von Papi zu kommen, und haben dann über die Jahre immer wieder Zahlungen eingetrieben – unregelmässig, in wechselnder Höhe, mit Vollstreckungskosten belastet. Das Verfahren selbst füllt inzwischen zwei 7cm starke Leitzordner – und dies ohne Erkenntnisverfahren, mit dem ich ja nichts zu tun hatte.

Der Gegner hat in den Jahren mehrmals die Arbeitsstelle gewechselt, selbstständige Tätigkeiten begonnen, Hilfsjobs gemacht, war arbeitslos usw. usw. – und natürlich hat er uns die Änderungen in seinen wirtschaftlichen Verhältnissen nicht ein einziges Mal mitgeteilt; eine aktuelle Berechnung der Rückstände unter Berücksichtigung von laufenden Ansprüchen, Zinsen, Kosten und diversen Teilzahlungen umfasst inzwischen deutlich mehr als 20 Din-A4-Seiten und wird von meinen Mitarbeiterinnen eigentlich nur noch bewältigt, weil der Computer mit den speziellen Berechnungsprogrammen die über die Jahre unterschiedlichen Zinssätze sowie die einzelnen Verrechnungen auf Kosten, Zinsen und Hauptforderungen gesetzeskonform und selbständig vornimmt – und sowohl Forderung als auch Zahlung tagegenau verrechnet. Fragen Sie mich nicht, wieviele Bäume für dieses Verfahren schon ihr Leben lassen mussten; wenn mal das Wort vom „Papierkrieg“ seine Berechtigung hat, dann bei diesem Verfahren.

Aber all das soll nun nach der Auffassung von Herrn Rechtspfleger Richter mein gerade 18 Jahre alt gewordener Schüler (der damit als privilegierter Volljähriger einem Minderjährigen unterhaltsrechtlich gleichgestellt ist – vielleicht ja auch deswegen, weil er intellektuell durchaus noch einem Minderjährigen gleichstellt, aber man weiss es ja nicht, würde mein sechsjähriger Sohn sagen) selbst erledigen. Ja, Sie ahnen es, Herr Richter ist erst ganz neu mit dem Fall befasst…

Aber klar: Natürlich verfügt jeder Schüler heute über einen Computer und einen Internetanschluss (insbesondere diejenigen Schüler, deren Väter keinen Unterhalt zahlen), und natürlich findet er auch unproblematisch die Seite www.justiz-niedersachsen.de, auf der er dann pfeilschnell unter Service-Formulare-Zwangsvollstreckungsrecht die für ihn passenden Formular herunter lädt und ausdruckt – schliesslich gehört ja heute bei der hohen Scheidungsrate in unserer Gesellschaft die Einpfändung von dauernden Lasten in Form von Kindesunterhalt zum Standardthema im Sozialkundeunterricht. Und dann schwupps per Excel-Tabelle den Gesamtanspruch berechnet (einschliesslich der variablen gesetzlichen Zinsen), dann die paar Teilzahlungen abgezogen (aber bitte immer auf die richtige Forderung verrechnen, das muss ein Schüler können, ohne Frage!) und dann zum Rechtspfleger Richter damit.

Ach so, mein Schüler könnte natürlich auch (zB. jetzt in den Herbstferien, wenn Herr Richter oder seine Kollegen gerade Zeit haben, Schulferien sind ja die Zeiten mit der höchsten Anwesenheitsrate in den öffentlichen Verwaltungen im Jahr) auch die Rechtsantragsstelle aufsuchen, meine beiden Leitzordner mitnehmen – und dann setzt sich eben Herr Richter hin und rechnet das alles mal so nebenbei mit dem Taschenrechner aus…

Und ich kühle mir inzwischen die Beulen auf der Stirn – die ich erlitten habe, nachdem ich nach der Lektüre der Verfügung des Rechtspflegers mit meinen Kopf auf die Tischkante geknallt bin… weder das noch das Lesen des Schreibens konnte ich irgendwie lustig finden.

Ich kenne übrigens eine Reihe von Kollegen, die sich diesen Beratungs- und Verfahrenskostenhilfesch… gar nicht mehr antun – nur, was macht dann ein Achtzehnjähriger mit den rechtskräftig titulierten Asprüchen gegen seinen Erzeuger? Im Zweifel Herrn Rechtspfleger Richter nicht mehr mit Arbeit behelligen…

Der Witz (über den ich allerdings auch nicht wirklich lachen kann) ist übrigens: da die Kosten des Verfahrens (also auch die entstehenden Rechtsanwaltskosten) in der Verrechnung durchaus bevorrechtigt sind, ist die Ausfallquote in diesen Verfahren recht gering – und die Gebührenansprüche ja nach der Beiordnung auf die Staatskasse übergegangen. Dementsprechend geht es letztendlich also nur darum, wer in Vorkasse geht: der freiberuflich tätige Rechtsanwalt oder die Gesellschaft mit Steuergeldern; mir drängt sich der Verdacht auf, dass Herr Rechtspfleger Richter Anwälte für chronisch überbezahlt hält und deswegen meint, solche Zwangsvollstreckungsmassnahmen könnten doch gerne mal von solch Besserverdienenden vorfinanziert werden – ich werde das Thema bei der nächsten Gehaltsauszahlung mal mit meinen Mitarbeiterinnen erörtern – oder bei der nächsten Steuervorauszahlung mit dem Finanzamt, denn vielleicht darf ich ja solche Vorausleistungen für die Allgemeinheit dort verrechnen…


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