Von Stefan Sasse
Zu diesem Schluss jedenfalls kommt der Washington-Korrespondent der SZ, Reymer Klüver, in seiner Analyse der Ankündigung Obamas, bis September 2012 die 30.000 Mann wieder abzuziehen, die er 2009 auf Druck der Militärs hinbeordert hat.
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Der Abzug aller NATO-Truppen dürfte nicht übermäßig lang auf sich warten lassen; man hört immer wieder das Datum 2014. Es ist nicht unrealistisch. 2014 werden die NATO-Truppen dreizehn Jahre lang in Afghanistan gewesen sein, Milizen bekämpft und viele, viele "Taliban" (Sammelbegriff für von der NATO getötete Afghaner) getötet haben. Man wird ein paar Straßen gebaut und Leitungen verlegt haben, Brunnen gebohrt und Schulen eröffnet. Für die meisten Afghaner wird das Leben weiterhin so sein, wie es all die Jahre vorher war. Die Bilanz des Einsatzes in Afghanistan ist ernüchternd, das Projekt des nation building klar gescheitert: noch immer hat die Regierung Karsai, die kaum mehr als auf dem Papier zu bestehen scheint, keine Kontrolle über die Mehrheit ihres eigenen Landes, und von einer tatsächlichen funktionsfähigen Administration ist man meilenweit entfernt. Der Abzug ist nur konsequent.
Von Deutschland hört man in diesem Zusammenhang nichts. Die Bundesregierung wird in dieser Sache von Washington getrieben, genauso wie im Rest der Strategie. Einsätze in umkämpfteren Regionen, Truppenaufstockungen, nun der Abzugsplan - eine Handschrift der Deutschen findet sich nirgends, außer darin, dass man irgendwie alles ein bisschen und nichts richtig mitmacht. Die Deutschen sind am Hindukusch, aber welchen Nutzen erfüllen sie dort? Es bleibt fraglich. Bei der Bevölkerung der Afghanen sind sie offensichtlich nicht wesentlich besser gelitten als die amerikanischen und britischen Besatzer, und die US Army hat in diversen Kommentaren durchblitzen lassen, was sie von der deutschen militärischen Unterstützung hält: nichts. In Deutschland selbst ist der Einsatz eine beständig schwärende innenpolitische Wunde. Die Deutschen mögen militärische Einsätze nicht, haben sich aber mit Afghanistan abgefunden. An die Verlustmeldungen hat man sich gewöhnt, an das alljährliche Abnicken der Verlängerung des Mandats, an die Forderungen der Bundeswehr nach mehr Leuten und besserer Ausrüstung. Passiert ist insgesamt recht wenig; die Angelegenheit wurde von Großer Koalition wie Schwarz-Gelb ausgesessen. Wenn die Bundeswehr das Land 2014 tatsächlich verlässt, wird es wohl wie ein böser Spuk erscheinen und bald vergessen werden.
Die Konsequenz ist, dass man sich so schnell sicher weder in der Region noch in anderen Ländern dauerhaft engagieren wird. Der Einsatz in Afghanistan hat nicht nur unzählige Menschenleben gekostet, er war auch in harter Münze unglaublich teuer. Ob er überhaupt irgendetwas Bleibendes geschaffen hat oder ob nach dem Abzug wieder radikale Milizen die Macht in dem Bergland übernehmen werden wird noch zu sehen sein. Auch die Sowjets haben versucht das Land mit Zuckerbrot und Peitsche zu befrieden, gegen Milizen zu kämpfen und gleichzeitig Straßen und Schulen zu bauen. Als die NATO 2001 einmarschierte, war von diesen Bemühungen wenig übrig geblieben. Als Bilanz für dreizehn Jahre kriegsähnliche Zustände ist das alles sehr mager. Es ist anzunehmen, dass man mit langfristigen Bodeninterventionen künftig vorsichtiger sein wird. Wir werden mehr Einsätze wie den am Horn von Afrika sehen, oder die Bombardierungen in Libyen. Man wird eher versuchen, Exzesse zu stoppen oder Oppositionen zu stärken als selbst aktiv zu werden. Der Versuch, eine Regierung zu etablieren und diese dann mit NATO-Militärpräsenz zu stützen kann als gescheitert angesehen werden.
Ein großes innenpolitisches Thema werden die künftigen Einsätze wohl eher nicht werden. Die Deutschen sind zwar mit deutlicher Mehrheit gegen die Einsätze, machen aber Wahlentscheidungen nicht davon abhängig, das hat Afghanistan deutlich bewiesen. Bundesregierungen können die Bundeswehr also relativ frei in die Welt schicken, wenn sie bereit sind, eine kleine Entrüstung zu ertragen. An den Wahlurnen wird es sich kaum bemerkbar machen. Man kann das gut oder schlecht finden, Fakt ist es jedenfalls. Ohne eine großangelegte Vision von "Friedenspolitik" im 21. Jahrhundert wird es kaum eine Opposition zum aktuellen Kurs geben (und eine solche bietet die LINKE sicherlich nicht). In den 1960er Jahren entwickelte die SPD eine Friedenspolitik der Entspannung mit dem Ostblock, die tragfähig war und schließlich mehrheitsfähig wurde und die vorherige Konfrontationspolitik der CDU/CSU ablöste. Auf eine kohärente Idee, wie man im 21. Jahrhundert anders Sicherheitspolitik machen kann als mit der Knute der Interventionspolitik fehlt derzeit nocht.