Das Jubiläum war in den Nachfolgestaaten der UdSSR Anlaß für zahlreiche Gedenkveranstaltungen. Der Fernsehkanal Rossija-1 hat dazu eine hundertminütige Doku von Andrej Kondraschow unter dem schlichten Titel "Afgan" gebracht:
Der Film ist eine abgeklärte Rückschau auf die Ereignisse jener Jahre. Zahlreiche Interviewpartner, sowohl aus der ehemaligen Sowjetunion als auch aus Afghanistan, berichten von ihren Erlebnissen. Für manche von ihnen scheinen die neun Jahre des Krieges die besten ihres Lebens gewesen zu sein, die durchaus mit einer gewissen Verklärung gesehen werden. So sagen z.B. ehemalige Mudschaheddin, die "Schurawi" (die Russen) wären wenigstens noch richtige Krieger gewesen, während die Soldaten der NATO, die heute das Land besetzt halten, feige seien, richtigen Kämpfen oft ausweichen würden und statt dessen ihre Drohnen schicken, gegen die man sich nicht wehren könne.
Andere Afghanen - mehrere Zehntausend von ihnen haben eine Berufsausbildung oder ein Studium in der Sowjetunion absolviert - meinen, die 1980er Jahre seien besser gewesen als die Gegenwart. Damals habe es fast keine Arbeitslosigkeit gegeben, es wurden zahlreiche Fabriken gebaut und die sowjetischen Soldaten hätten - anders als die der NATO - oft auch Gebrauch von den örtlichen Händlern, Handwerkern und Basaren gemacht und somit deren Gewerbe belebt. Die genannten Betriebe sind heute meist nur noch Ruinen, während die von der SU in Kabul errichteten Wohnviertel noch stehen und anscheinend eher zu den besseren Wohnlagen der Stadt gehören.
Die Afghanen können übrigens bis heute nicht verstehen, weshalb die zahlreichen muslimischen Soldaten und Offiziere aus den südlichen Sowjetrepubliken nicht in Scharen zu ihnen übergelaufen sind, sondern tapfer in der Sowjetarmee gekämpft haben.
Politisch brisant wird es, wenn der ehemalige Stabschef eines Feldkommandeurs der Mudshaheddin berichtet, daß sie bisweilen von Vertretern der sowjetischen Führung (z.B. Außenminister Eduard Schewardnadse) angerufen und vor bevorstehenden Militäroperationen gewarnt worden seien. Haben die "Reformer" im Kreml ihre eigenen Soldaten bewußt ins Messer laufen lassen? Ähnlich war es während des Ersten Tschetschenienkrieges 1994/96. Damals hatte der Oligarch, zeitweilige Chef des Sicherheitsrates der RF und spätere "politische Flüchtling", Boris Beresowskij, offizielle Regierungsdokumente an die Rebellen faxen lassen. Die Tschetschenen legten diese Dokumente in Verhandlungen ganz stolz den rußländischen Offizieren vor, weil jene die neuen Anweisungen aus Moskau bisher nur fernmündlich, nicht jedoch schriftlich kannten.
Doch zurück nach Afghanistan. Ein besonderer Interviewpartner von Kondraschow war der ehemalige CIA-Offizier Milton Bearden. Er hatte von 1986 bis 1989 sämtliche CIA-Operationen in Pakistan und Afghanistan geleitet und der zeitliche Abstand hat auch seine Zunge ein wenig gelockert. Bearden bestätigte zum einen den gewaltigen Umfang der Militärhilfe, welche die Gotteskrieger aus dem Ausland erhielten. Nicht nur aus den USA, auch aus Großbritannien, Frankreich, Italien, der BRD, Saudi-Arabien, China und anderen Staaten wurden Waffen, Ausrüstungsgegenstände und Instrukteure an den Hindukusch geschickt. Insgesamt sind mehrere Milliarden US-Dollar an ausländischen Steuermitteln zur Finanzierung des "Heiligen Krieges" aufgewandt worden.
Die Militärhilfe zugunsten der Mudschaheddin begann übrigens schon im Juli 1979, also fast ein halbes Jahr vor dem Einmarsch der Sowjetarmee am 27.12.1979. Daher ist es auch unzutreffend, sie als Reaktion auf den sowjetischen Einmarsch zu deklarieren.
Diese Informationen waren im wesentlichen bekannt. Wichtiger ist, daß Bearden mit den Märchen der westlichen Propaganda bezüglich des sowjetischen Afghanistanfeldzuges aufräumt. Mancherorts wird immer noch behauptet, die SU hätte gegen die Mudschaheddin Giftgas eingesetzt oder in Kinderspielzeug versteckte Sprengfallen aus Flugzeugen abgeworfen. Bearden bestätigt nun, daß dem nicht so war. Solche Geschichten seien hauptsächlich das Produkt der westlichen Presse, die immer etwas schreckliches berichten wollte. (Kennen wir auch aus der Gegenwart.)
Vergleicht man das sowjetische Engagement in Afghanistan mit dem der NATO seit 2001, so ergibt sich ein Bild, in dem die UdSSR nicht so schlecht dasteht:
1. Die NATO-Truppen waren wesentlich länger in Afghanistan als die sowjetischen (12 Jahre vs. 9 Jahre). Zudem war die maximale Personalstärke der NATO wesentlich höher als die sowjetische (140.000 vs. 104.000). Hinzu kommen die jeweiligen einheimischen Hilfstruppen in einer nominellen Stärke von mehreren hunderttausend Mann.
2. Die Gegner der NATO erhalten seit 2001 erheblich weniger ausländische Unterstützung als die Mudschaheddin der 80er Jahre. Damals wurden aus dem Ausland massiv Handwaffen, Sprengmittel, Flugabwehr- und andere Raketen an die afghanischen Rebellen geliefert. Und heute? Vielleicht ein bißchen was aus Pakistan, doch nennenswerte fremde Waffen- oder Ausbildungshilfe erhalten die Taliban nicht. Das politisch-strategische Gesamtumfeld ist für die NATO-Truppen mithin wesentlich günstiger als für die Sowjetarmee.
3. Wer sind überhaupt die Gegner der NATO-Truppen in Afghanistan? Die englische Wikipedia beziffert die Gesamtstärke von Taliban und Al-Quaeda auf einige zehntausend Mann. Demzufolge wäre ihnen die NATO sogar numerisch überlegen. Demgegenüber gab es in den 1980er Jahren bis zu 400.000 Mudshaheddin, d.h. die sowjetischen Truppen waren in der deutlichen Unterzahl.
4. Des weiteren hat die NATO Vorteile im Propagandakrieg. In den 1980er Jahren war die internationale Öffentlichkeit weitgehend gegen die Sowjetunion und für die Mudschaheddin eingestellt, doch wer unterstützt heute - außer ein paar Islamisten - öffentlich die Taliban?
Trotz dieser unbestreitbaren Vorteile hat es also auch die NATO unter Führung der Supermacht USA nicht vermocht, das Land am Hindukusch zu unterwerfen. Nun könnte man einwenden, die NATO sei in ihrer Kampfführung eben nicht so skrupellos wie die Sowjets, weshalb nennenswerte Erfolge ausblieben. Doch dem ist nicht so. Wie skrupellos muß man sein, um tausende Menschen, deren Involvierung in bewaffnete Banden oft nicht klar ist, mittels ferngesteuerter Flugapparate per Knopfdruck ins Jenseits zu befördern?
Da sich nun auch der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan seinem Ende zuneigt, stellt sich die Frage nach dem Umgang mit diesem Einsatz in der deutschen Gesellschaft. Wird es in den Heimatorten Gedenktafeln für die (bis jetzt) 38 Gefallenen geben? Wird man Straßen und Schulen nach ihnen benennen? Oder werden sie weitgehend anonym bleiben, eben getötete Söldner, die ihr Dienstherr abschreiben mußte? Daran, wie insbesondere unsere politische Klasse, welche die Soldaten ins Feuer geschickt hat, mit diesem Thema umgehen wird, wird man viel über den Zustand Deutschlands ablesen können.
Und vor allem: Was werden die Einwohner Afghanistans in 25 Jahren über die NATO und ihre Art, Krieg zu führen, denken? Was wird von den zivilen Projekten der NATO bleiben? Und wie lange wird sich die Kabuler Regierung von Hamid Karzai nach dem Abzug der NATO-Truppen noch halten können? Mohammed Nadschibullah, der in einer vergleichbaren Lage war, blieb immerhin bis April 1992 in Amt und Würden.
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