Stell dir vor, es gäbe einen Computer, der immer genau weiß, wie es dir im Moment gerade so geht. Er weiß, ob du müde bist oder wach, ob du gestresst bist oder entspannt, krank oder gesund.
Dieser Computer weiß auch, welche Produkte in den Kaufhäusern dir gefallen, welche Mode du magst und welche Marken du gar nicht ausstehen kannst.
Dieser Computer weiß, wann du reif für den Urlaub bist, ob du in letzter Zeit öfters Streit mit deinem Partner hattest oder ob du kürzlich Nachwuchs bekommen hast.
Eine Utopie, denkst du? Etwas, das es vielleicht in 100 Jahren mal geben wird?
Nein.
Genau dieses System gibt es im Großen und Ganzen schon heute. Und genau davon handelt dieser Artikel.
Bild: Johan Larsson
Darf ich vorstellen: Affectiva
Bei Affectiva handelt es sich um einen amerikanischen Hersteller von Software zur Messung von Emotionen. Mithilfe solcher Programme soll es in Zukunft möglich sein, genau zu erkennen, was eine Person möchte und wie sich die Person im Moment fühlt. Diese Programme sollen unsere Emotionen bemerken und deuten. Das Ziel: Wenn sich die Kundinnen und Kunden wohl fühlen, kaufen sie bei den Unternehmen mehr ein und die Firmen wissen, was einem bestimmten Kunden am ehesten gefällt.
Um dieses Ziel zu erreichen, hat Affectiva 100’000 Gesichtsausdrücke von Menschen aus allen Kulturkreisen gesammelt und ausgewertet.
Mehr Sicherheit in Flughäfen?
Wer in letzter Zeit mit einer Airline geflogen ist, musste ein riesiges Sicherheits-Prozedere hinter sich bringen. Ich staune immer wieder, was da alles nicht erlaubt ist und mit welchen komischen Gerätschaften wir und unser Gepäck durchleuchtet werden. Und dabei geht es bei uns in Europa ja geradezu noch harmlos zu und her, wenn wir die Situation in den USA anschauen.
Und auch hier sieht Affectiva ein Betätigungsfeld für seine Software. Diese könnte in den Flughäfen zusammen mit Körperscannern eingesetzt werden, um die Sicherheit zu erhöhen. Verdächtige Personen – so sagt das Unternehmen – können so anhand ihres Gesichtsausdrucks gefunden und “beiseite genommen” werden.
Ich bin gespannt! Und ich hoffe, dass die Software zuverlässig ist und nicht einfach jeden von Flugangst geplagten Passagier als potentiellen Terroristen anzeigt.
Langeweile im Publikum? Gehört vielleicht bald der Vergangenheit an
Ein weiteres Aufgabenfeld hat Affectiva bei Vorträgen und in Kinosälen ausfindig gemacht.
So soll die Software zum Beispiel bei Konferenzen eingesetzt werden, um Langeweile und Müdigkeit im Publikum zu erkennen. Anhand von Kameraaufnahmen von Körpersprache und Gesichtsausdruck des Publikums sollen algorithmisch die dazu gehörenden Gefühle und Emotionen interpretiert werden. Der Redner erhält dann die Nachricht, dass ein Großteil des Publikums abschweift und vielleicht gar nicht mehr bei der Sache ist. Oder er sieht in Echtzeit, wie gut dem Publikum das aktuelle Thema gefällt.
Und ich dachte bisher immer, gute Redner würden dies von selbst bemerken…
Außerdem soll die Software von Filmstudios eingesetzt werden, um in Kinos herauszufinden, welche Szenen eines Filmes bei den Besuchern nicht ankommen. Auf diese Weise können zukünftige Filme so erstellt werden, dass sie je länger je mehr dem Massengeschmack des Publikums entsprechen.
Wenn nun also die Auswertung zum Beispiel ergibt, dass lange Sprechszenen in Komödien tendenziell dazu führen, dass das Publikum der Handlung weniger konzentriert folgt, können diese Szenen in zukünftigen Filmen weggelassen werden.
Wer mal schauen will, wie das funktioniert, findet auf der Website von Affectiva eine Demo.
Das US-amerikanische Unternehmen benötigt im Moment noch Hilfsmittel, um die Emotionen der Menschen interpretieren zu können. Dazu gehören Kameras (teilweise in Schaufensterpuppen versteckt), Webcams (wie bei der oben erwähnten Demo) oder biometrische Sensoren in einem Handband.
In Zukunft aber wird dein Smartphone alles können, was Affectiva heute macht.
Dein Smartphone wird dich in Zukunft bis ins Detail kennen – vielleicht besser, als dir lieb ist
Dein Smartphone (sei es nun ein iPhone, Android-Handy oder ein Gerät von Windows) wird alleine an deiner Stimme erkennen, dass du müde bist – und vielleicht gleich den Vorschlag machen, rasch bei Starbucks vorbei zu schauen.
Oder es wird erkennen, dass du gestresst bist und dir gleich mal eine Massage empfehlen – inklusive der Wegbeschreibung zum nächsten Massagestudio.
Vielleicht aber erkennt dein digitaler Assistent auch, dass du krank oder erkältet bist. In Sekundenbruchteilen hat es deinen Kalender mit jenem deines Arztes abgeglichen und schlägt dir direkt einen Arzttermin heute Nachmittag um 15:30 Uhr vor.
Wenn wir die Sache nun weiter denken, kommen wir in einen Bereich, der fast schon unheimlich wird. Es geht dabei um die Möglichkeiten, die Unternehmen mit dieser Technik erhalten:
Stell dir vor, dein Smartphone bemerkt, dass du dich auf direktem Weg zur nächsten H&M-Filiale befindest. Noch bevor du dort eintriffst, erscheint auf deinem Smartphone ein Hinweis von Zara mit einem unschlagbaren Sonderangebot. Du änderst deine Pläne; statt zu H&M gehst du nun zu Zara.
Wie das funktioniert? Ganz einfach: Zara buchte bei deinem Mobilfunkbetreiber eine Werbekampagne. So wie Unternehmen heute bei Facebook zum Beispiel eine Kampagne buchen können, die allen Facebook-Usern zwischen 24 und 36 Jahren, die Single sind und im Großraum Berlin wohnen, angezeigt wird, so können Unternehmen in Zukunft bei deinem Mobilfunkbetreiber Werbung buchen, die allen Menschen angezeigt wird, die in die Richtung einer Filiale der Konkurrenz unterwegs sind.
Willkommen in der Zukunft! So könnten die Unternehmen bald um ihre Kunden werben.
Aktuell arbeitet die University of Rochester (USA) an genau solchen Dingen.
Angefangen hat es damit, dass die Forscher ein Programm erstellten, welches die Emotionen der Benutzer erkennt. Das tut es inzwischen mit einer Genauigkeit von 80.5 Prozent. Besser als je zuvor. Anhand von 12 unterschiedlichen akustischen Merkmalen – und ohne den Inhalt des Gesprochenen zu analysieren – kann das Programm zum Beispiel zwischen Ärger, Traurigkeit, Verachtung, Freude und Angst unterscheiden. Eine App namens Listen-n-Feel soll demnächst auf Windows Smartphones zeigen, was möglich ist.
Doch das ist erst der Anfang! Wenn solche Möglichkeiten bestehen, haben verschiedene Unternehmen natürlich sehr großes Interesse daran.
Wie Unternehmen ihre Produkte in Zukunft bewerben
Dein Smartphone wird also, wie schon oben erwähnt, immer genauer über dich Bescheid wissen. Schon heute verfügen die Geräte über Mikrofone, Kameras, Bewegungssensoren, GPS und vieles mehr. Diese Sensoren werden in Zukunft dazu benutzt, noch viel mehr über dich zu erfahren.
Dein Smartphone erkennt, dass du müde bist? Sofort wird ein Gutschein für ein vergünstigtes Getränk bei Starbucks angezeigt. Du wirkst gestresst? Dein Smartphone schlägt dir vor, mal eine Auszeit zu nehmen. TUI hat gerade ein Schnäppchen im Angebot. (Aufgrund deiner Emails weiß dein Smartphone, dass du in den letzten Jahren bevorzugt mit TUI in den Urlaub geflogen bist.)
Gehen wir nun noch einen Schritt weiter.
Dein Smartphone erkennt Babygeschrei im Hintergrund. Das ist neu, sowas gab es in der Vergangenheit nicht. Als das Babygeschrei auch in den folgenden Tagen immer wieder registriert wird, weiß dein Smartphone, dass es bei dir wohl Nachwuchs gegeben hat. Und schon blinkt auf dem iPhone-Bildschirm eine Werbung für Windeln auf.
Bild: lululemon athletica
Andere Situation: Dein Smartphone bemerkt, dass du in letzter Zeit öfters Streit hast (wie gesagt: An deiner Stimme erkennt dein Handy deine Emotionen). Der Streit findet zu Hause statt (Smartphones wissen das dank dem GPS-Chip). Daraus schließt dein Handy, dass es sich wohl um Streit mit dem Partner handelt. Vorsorglich und hilfsbereit wie dein digitaler Assistent ist, zeigt er dir auf seinem Bildschirm eine Werbeanzeige für einen guten Scheidungsanwalt an und kurz darauf blinkt die verlockende Werbung für eine Dating Site auf.
Alles Utopie und Spinnerei, denkst du? Nein, das ist erst der Anfang!
Andrew Bosworth arbeitet bei Facebook. In einem Interview mit der Technology Review erzählt er, dass Facebook versucht (hat), Werbung aufgrund aufgenommener Audio-Signale und den GPS-Koordinaten auf den Smartphones der User anzuzeigen. Und Facebook ist nicht das einzige Unternehmen, welches Versuche in diese Richtung unternimmt.
Früher fragten sich Soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter, wie sie noch besser dafür sorgen können, dass sich Menschen mit Menschen vernetzen und auf den Plattformen austauschen. Heute hingegen gibt es nur noch eine Frage, welche sich die Entwickler von Facebook & Co. stellen: “Wie können wir noch besser dafür sorgen, dass das Geld unserer User zu den Unternehmen, die etwas verkaufen wollen, fließt (und wir daran mitverdienen).”
Warum ist das so? Ganz einfach:Wir können nonstop erreicht werden.
Wir können nonstop mit Werbung bombardiert werden.
Wir könnten theoretisch nonstop einkaufen.
Und das wollen die Firmen für sich nutzen!
Apple brachte mit dem iPod 1’000 Songs in unsere Hosentasche.
Mit dem iPhone hingegen brachte der Apfel-Konzern ein ganzes Kaufhaus in unsere Hosentasche!
Studien zeigen: Je weniger Kontakt wir mit Geld haben, desto mehr geben wir aus. Das zeigte sich bereits mit den Kreditkarten. Doch noch stärker ist der Effekt mit den heutigen Smartphones. Denn da können wir unsere Einkäufe häufig mit einem einzigen Klick tätigen. Wir wissen zwar, dass wir in diesem Moment Geld ausgeben, und doch ist es uns nicht so richtig bewusst, denn die Abrechnung kommt ja erst Ende Monat.
Bild: (BY-SA) Osman Kalkavan
Fast wie früher
Früher im Tante-Emma-Laden: Die Besitzerin kannte ihre Kunden und wusste, was diese am liebsten einkaufen. Durch Smalltalk wusste sie auch über das Sozialleben der Kunden Bescheid.
In Zukunft wird dies wieder ähnlich sein, egal in welchem Geschäft wir einkaufen: Die Unternehmen kennen und wissen, was unsere Lieblingsprodukte sind. Dank den Sozialen Netzwerken und den in diesem Artikel erwähnten Möglichkeiten der Smartphones wissen sie auch bestens über unser alltägliches Leben Bescheid. Vielleicht fasst noch besser als früher die Tante Emma. Smartphones sei Dank.
Fazit: Nichts geht mehr ohne Körpersprache
Hier auf dem interaktionsblog.de geht es um Körpersprache. Ihr lernt unter anderem, die Emotionen eurer Mitmenschen zu lesen und zu analysieren. (Und das, nebenbei gesagt, ohne jegliche Hilfsmittel.)
Der heutige Artikel zeigte, dass auch Unternehmen sehr daran interessiert sind, die Emotionen der (potentiellen) Kundinnen und Kunden zu (er)kennen. Mit modernsten technischen Hilfsmitteln und Algorithmen.
Wir sind nicht mehr weit von einer solchen Zukunft entfernt.