Adieu Schloss – der Abschied von der Berliner Stadtschlossattrappe

Adieu Schloss – der Abschied von der Berliner Stadtschlossattrappe
Kommentar: Nun ist es amtlich. Die Bundesregierung hat den Nachbau des Berliner Stadtschlosses zunächst verschoben. Für die Jahre 2011 bis 2013 stellt der Bund keine Mittel zur Verfügung. Die Bundesregierung würdigt zwar die “historische Bedeutung und kulturpolitische Chance” des Vorhabens, doch angesichts der “dramatischen Finanzsituation” hätten sich die Teilnehmer der Sparklausur “einmütig” für die Verschiebung ausgesprochen. In ernsten Zeiten könne man sich nicht alles leisten, was man sich wünsche, erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Damit ist ein jahrelanges Tauziehen um die Bebauung eines der wichtigsten Berliner Erinnerungsorte wieder offener als man hoffen konnte: Kippt jetzt das gesamte Projekt einer Re-Historisierung unter Bezug auf die alte Hohenzollernmonarchie?
Die Debatte über den Abriss des Palastes der Republik und der Neubau des Berliner Stadtschlosses ist eine der heftigsten Architekturdebatten der jüngsten deutschen Geschichte gewesen. Oberflächlich ging es um die Ästhetik der Mitte Berlins. Im Kern spiegelte die Debatte politische Interessen und die Suche nach neuer Identität des wiedervereinigten Deutschland. Ebenso ging es um den Umgang mit der DDR-Vergangenheit und um den Versuch, neue deutsche Traditionslinien im öffentlichen Gedächtnis zu verankern. Palast und Schloss können als Chiffren für unterschiedliche Konzepte von Geschichtskultur gedeutet werden, die auf jeweils verschiedenen Koordinaten fußen. Bezeichnend war für die Debatte, dass sie erstens stark emotionalisiert und zweitens symbolisch vielfältig aufgeladen war.
Es sei an dieser Stelle noch einmal kurz in Erinnerung gerufen: Der Palast war ein Prestigeprojekt und Symbol der DDR, ein Ort der Politik, weil hier die Volkskammer der DDR tagte. Er war aber auch ein Ort der Kultur und der Begegnung. Bei der Grundsteinlegung am 2. November 1973 hatte Erich Honecker über die Funktion des Gebäudes gesagt: „Dieser Palast der Republik soll ein Haus des Volkes sein, eine Stätte verantwortungsbewußter Beratungen der höchsten Volksvertretung unseres Arbeiter- und Bauernstaates, ein Ort wichtiger Kongresse und internationaler Beratungen. Unsere sozialistische Kultur wird hier ebenso eine Heimstätte finden wie Frohsinn und Geselligkeit der werktätigen Menschen“.
Dieses Konzept war außergewöhnlich und existierte so in den westlichen Staaten nicht. Tatsächlich wird der Palast in der Darstellung vieler Ostdeutscher noch immer stärker als kultureller Veranstaltungsort erinnert als ein Symbol eines Unrechtsstaates. Nicht politische Machtrepräsentation, sondern ein Haus der Begegnung mit der Welt sah der Architekt des Palastes in seinem Werk. Diese Haltung ist nicht nur als normatives Wunschdenken wichtiger Akteure der DDR zu verstehen.
Wieso kam es nochmal zum Palastabriss?
Die deutsche Wiedervereinigung als auch die 1989 als akute Gefahr angenommenen Asbestfunde bildeten den Rahmen für die Debatte über das Gebäude. Am 19. September 1990 beschloss die erste demokratisch gewählte Volkskammer der DDR die Schließung des Palastes der Republik wegen zu hoher Asbestbelastungen. Die Schließung des Palastes – gedeutet als politischer Ort – wurde bereits als symbolischer Akt und als Demontage eines verlorenen Staates gesehen. Mit dem Beschluss zur Schließung kamen erste Stimmen über die Beseitigung des Gebäudes auf. Die Asbestbelastung war eindeutig, doch konnte die Debatte nie auf eine Fachdiskussion über Umweltbelastung und Gesundheitsgefährdungen beschränkt werden. In der öffentlichen Wahrnehmung scheint der politische Diskurs und die Suche nach neuen baulichen Repräsentanten des wiedervereinigten Deutschland relevanter gewesen zu sein.
Eine vollkommen neue Qualität bekam die Debatte über den gerade geschlossenen Palast mit einem Artikel des Publizisten Joachim Fest in der FAZ vom 30. November 1990. Das unmittelbar nach der Wiedervereinigung veröffentlichte „Plädoyer für den Wiederaufbau des Schlüterschen Stadtschlosses“ kam einer Initialzündung gleich. Fests Hauptargument war, dass es aus westlicher Sicht in der weltpolitischen Auseinandersetzung des Kalten Krieges um die Eindämmung der sozialistischen Herrschaftsidee ging. Wenn der Abbruch des Schlosses 1950 das Symbol des Sieges des Sozialismus über die aristokratisch-bürgerliche Gesellschaft sein sollte, so wäre der Wiederaufbau, wie Fest meinte, das Symbol des Scheiterns dieser Idee. Der Artikel provozierte Gegenmeinungen und Begeisterung. Die darauf folgende Auseinandersetzung über den Erhalt des Palastes bzw. Wiederaufbau des Schlosses und am Rande auch die Überlegung nach einer dritten, modernen Lösung ist gut dokumentiert.
Die Debatte ist eine Demonstration demokratischer Meinungsbildung, auch wenn die Akteure diesen Prozess mit unterschiedlichen Ressourcen bestritten. Hier ist vor allem der öffentlichkeitswirksame Bau einer Schlossattrappe 1993/94 auf Initiative des Fördervereins Berliner Schloss e.V. zu nennen. Die Attrappe nährte das Vorstellungsvermögen über einen möglichen Wiederaufbau des Schlosses und schaffte durch seine Anschaulichkeit eine Wende innerhalb des öffentlichen Diskurses. Es war vielleicht der erfolgreiche Anfangspunkt der für den Schlossaufbau eintretenden Lobby, die spätestens nach 1998 die Diskurshoheit innerhalb der politischen Eliten erringen konnte.
Nachdem der Abriss des Palastes besiegelt und der Wiederaufbau vom Bundestag mit großer Mehrheit zumindest auf dem Papier beschlossen war, ebbte die Debatte ab, auch wenn die Argumente gegen das Schloss bis heute bestechen:
Das Schloss ist nicht nur Symbol des alten Preußen, sondern ebenso Zeichen für eine neue deutsche „Großmannssucht“, weil daran gezweifelt werden kann, dass eine Schlossfassade mit demokratischem Leben gefüllt werden kann. Die Attrappe des Schlosses mit kommerziellem Innenleben war sowieso von Anfang an einer „Las-Vegas-Mentalität“ der Schlossfreunde entsprungen und war Teil einer „Disneyisierung“ Berlins auf altpreußisch.
Für eine dritte Lösung
Die Diskussionen der letzten 20 Jahre machen deutlich, dass der Schlossplatz (schon die Umbennenung dieses Platzes war ein Politikum und sollte nicht als ehern verstanden werden) als deutscher Erinnerungsort zu verstehen ist. In dieser Annahme scheint ein Schlüssel zur Debatte zu liegen. Erinnerungsorte haben eins gemeinsam: eine hohe symbolische Dimension, die Fähigkeit, mehrere Assoziationen miteinander zu verbinden, große Gruppen von Menschen anzusprechen und sich über Generationen hinweg zu übertragen. Ihre Funktion liegt in der Stiftung von Gemeinschaft. Gemeinschaft, glaubt man dem Soziologen Maurice Halbwachs, ist sogar nicht denkbar ohne einigende Erinnerung, ohne Gedenkfeiern, Denkmäler, Mythen, Rituale und ohne die Identifizierung mit denkwürdigen Persönlichkeiten, Ereignissen und Gebäuden der für das eigene Kollektiv relevanten Geschichte. Durch die Wahrnehmung eines Erinnerungsortes und vermittelt über die Rituale des Gedenkens zeigt sich, auf welche Weise spezifische Erfahrungen vor dem Vergessen bewahrt werden können bzw. was die Gesellschaft im Andenken bewahren möchte und in welcher Weise Erinnerung weitergegeben werden soll.
Doch als was kann ein Ort wahrgenommen werden, der entgegen der Definition des Erinnerungsortes nicht Gemeinschaft durch Erinnerungskonventionen, sondern Streit stiftet? Ist das ein Anti-Erinnerungsort? Offensichtlich ist, dass der Palast/Schlossplatz ein geteilter deutscher Erinnerungsort ist – bis heute. Sein Kristallisationskern scheint mit unterschiedlichen Vorzeichen wahrgenommen zu werden. Hinter dem Ziel, die Interpretation dieses Ortes festzuschreiben, stecken gesellschaftliche Machtkämpfe, um die „richtige Erinnerung“. Dieses Ansinnen ist dann fatal, wenn einer der gemeinsamen Nenner eines Kollektivs dessen Heterogenität ist bzw. das Nicht-Vorhandensein einer gemeinsamen Geschichte. Die deutsche Erinnerungskultur – das muss anerkannt werden – ist durch Vielfalt und Fragmentierung geprägt, ein Erbe der späten Nationalstaatsbildung, von Kriegen und der deutschen Teilung. Der Versuch, krampfhaft eine Erinnerungskonvention zu etablieren, muss deshalb fehlschlagen. Eine Lösung kann nur die Anerkennung der bereichernden Vielschichtigkeit und Komplexität der Erinnerung sein. Die Gestaltung und Nutzung des heute so genannten Schlossplatzes wird den erinnerungskulturellen Konflikt, den dieser Ort in sich trägt, in angemessener Weise berücksichtigen müssen. Die logische Schlussfolgerung daraus ist, dass das Projekt der Schlossattrappe endgültig gekippt wird und eine verbindende moderne dritte Lösung gefunden wird, die mutig das neue Berlin, das neue moderne Deutschland symbolisiert. Wann haben die politischen Entscheidungsträger endlich den Mut dazu?

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