Aus: Gehirn&Geist;, September 2012
Immer mehr Heranwachsende gelten heute als notorisch unaufmerksam oder hyperaktiv. Forscher entdeckten zahlreiche genetische Risikofaktoren – die Diagnose und Therapie zu verbessern halfen diese Erkenntnisse bislang jedoch nicht.
ADHS hat viele Gesichter. Die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung kann sich als Übererregtheit und Impulsivität äußern, aber auch in gesteigerter Ablenkbarkeit oder Tagträumerei. Auf der Suche nach den biologischen Grundlagen entdeckten Forscher eine Reihe beteiligter Risikogene und Hirnbotenstoffe. "Wir kennen bislang einige Dutzend Gene, die zum Entstehen von ADHS beitragen", sagt Klaus-Peter Lesch von der Universität Würzburg in der aktuellen Ausgabe von Gehirn&Geist.;
Zu den Erbfaktoren, die man häufig bei ADHS-Betroffenen findet, zählt eine Mutation im DAT-Gen, in dem ein bestimmter Abschnitt gleich mehrfach vorliegt. Dabei handelt es sich um den Erbkode für einen Dopamintransporter, dessen Aufgabe es ist, den Botenstoff aus dem synaptischen Spalt (der Kontaktstelle zwischen zwei Nervenzellen) abzutransportieren. Durch die genetische Variation verfügen die Betroffenen über zu viel des Transportmoleküls. Der genetische Anteil bei der Entstehung von ADHS wird auf 70 bis 80 Prozent geschätzt. Doch auch Rauchen und Alkohol in der Schwangerschaft erhöhen das Risiko ebenso wie Frühgeburt oder ein niedriges Geburtsgewicht. Zudem kann allzu zuckerreiche Ernährung und psychischer Stress Unaufmerksamkeit und hyperaktives Verhalten fördern.
So wie es nicht die eine ADHS-Diagnose gibt, darf man auch kein Wundermittel erwarten, das allen hilft. Methylphenidat – unter dem Markennamen Ritalin das am weitesten verbreitete ADHS-Medikament – zeigt laut Studien nur bei etwa zwei von drei betroffenen Kindern Wirkung. Die Europäische Arzneimittelbehörde EMEA empfiehlt, die medikamentöse Behandlung nur in Zusammenarbeit mit Spezialisten mit therapeutischer Ausbildung durchzuführen und wenigstens einmal im Jahr zu prüfen, ob das Medikament nicht abgesetzt werden kann. Dringend geboten sei auch ein regelmäßiger körperlicher Check-up: So kann es infolge der Methylphenidatgabe zu Appetitminderung und Einschlafstörungen sowie zu Wachstumsverzögerung kommen.
Jenseits von Medikamenten bieten sich vor allem Verhaltenstherapie zur Behandlung an. Die größten Erfolgsaussichten hat eine so genannte multimodale Behandlung, die auch ein gezieltes Elterntraining einschließt. Der Heidelberger Kinderpsychiater und ADHS-Experte Helmut Bonney bestätigt dies gegenüber Gehirn&Geist;: "Anerkennung zu erfahren, ist ebenso wichtig wie das Training der Selbstregulation, damit Kinder lernen, von selbst zur Ruhe zu kommen."