Aderlass im Anschlussgebiet

Aderlass im Anschlussgebiet

Lebensfremd und jenseitsnah, faktenfern und von fadenscheiniger Seriosität, so kennt der Deutsche seine Politiker. Was sie sagen, wann sie es sagen und wie sie es sagen, hängt weniger davon ab, was sie meinen oder glauben, sondern mehr davon, was sie glauben nach Meinung des Publikums meinen zu sollen.
Wolfgang Böhmer etwa, als Ministerpräsident des westlichsten der östlichen Bundesländer die Strickjacke unter den Landesvätern, möchte seinem Volk zum Einheitsjubiläum gern das Gefühl geben können, zwar immer noch in jeder nur denkbaren Hinsicht Letzter zu sein, gleichzeitig aber auf einem guten Weg in Richtung Vorletzter. Böhmer, der wenn er spricht traditionell häufig Unsinn redet, das aber mit großer Gelassenheit tut, weil er weiß, dass ihm sowieso niemand drauf kommt, hat sich jetzt zu den Folgen der anhaltenden Flucht seiner Schäfchen aus dem Großgatter namens Sachsen-Anhalt geäußert.
"Ja", sagte er da dann geschlossen in Richtung derer, die weggehen, "es sind immer noch zu viele, aber es werden weniger". Die Wanderungsbilanz sei "noch negativ, aber sie war schon mal viel schlimmer". Damals, heißt das, als Erich Honecker seinen abgängigen DDR-Bürgern via Neuem Deutschland hinterherrufen ließ, niemand weine irgendjemandem eine Träne nach.
Böhmer nun weint auch nicht. "Ich kann auch verstehen, dass Menschen dahin gehen, wo sie Arbeit finden", sagt er. Und er könne auch verstehen, dass Leute wegen des Tarifgefälles sagen: Es lohnt sich für mich nicht, in Sachsen-Anhalt zu arbeiten".
Aber irgendwann werde es sich wegen steigender Löhne und "anziehender Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften" (MDR) einfach nicht mehr lohnen, "das Land zu verlassen oder auch nur auszupendeln." Das werde nicht "im nächsten halben Jahr" sein. "Aber ich gehe schon davon aus, dass wir es in den nächsten zwei, drei Jahren erreichen", sagt Böhmer, ganz so, als wäre die Abwanderung ein Problem, das zu DDR-Zeiten schlimm gewesen und seitdem immer besser geworden sei.
Dabei ist das ganze Gegenteil der Fall. In 40 Jahren DDR verlor das Gebiet, das heute Sachsen-Anhalt heißt, rund 330.000 Einwohner. Seit dem Mauerfall aber summierten sich die neuen Abwanderungsverluste auf 535000 Einwohner. Eine Bilanz, die sich auch im Vergleich mit dem ganzen Rest der früheren DDR sehen lassen kann. Mit nur 17 Prozent der Gesamtbevölkerung des Gebietes der ehemaligen DDR schaffte es Sachsen-Anhalt damit tatsächlich, die Hälfte aller Einwohnerverluste zu produzieren. Gingen bis 1990 pro Jahr zirka 8500 Menschen aus Halle, Magdeburg, Dessau, Gardelegen und Ascherleben weg, kletterte diese Zahl mit der deutschen Einheit auf sagenhafte 26.700 - jeden einzelnen Monat in jedem einzelnen Jahr verlor das Land eine komplette Gemeinde von der Größe Westeregeln, eine Stadt wie Prettin oder ein Dorf wie Westerhausen.
Das sind Zahlen, mit denen die DDR nie mithalten konnte. Die verlor von ihren ursprünglich 18,3 Millionen Bürgern in vier Jahrzehnten nur knapp zwei Millionen - pro Jahrzehnt eine halbe Million. Sachsen-Anhalt, das zum Zeitpunkt des "Anschlusses" (Matthias Platzeck) der DDR an Westdeutschland gerademal 2,9 Millionen Einwohner hatte, schaffte das in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten ganz allein: Pro Jahrzehnt gingen eine Viertelmillion Menschen weg. Eine Zahl, die im Vergleich mehr als dreimal höher liegt und Zeugnis ablegt für Wolfgang Böhmers Optimismus. Hält der Trend, was er verspricht, ist der Spuk in weiteren 40 Jahren garantiert vorbei: Dann ist Sachsen-Anhalt 2050 menschenleer und Wolfgang Böhmer hätte sein Ziel erreicht, die Abwanderung auf Null zu bringen.


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