Ach, lass sie doch…

Von Beautifulvenditti

Jeder in der Schweiz weiss, dass die Italiener Kinder über alles lieben und deshalb gibt es immer wieder Eltern, die ganz enttäuscht vom Italien-Urlaub zurückkehren. Die sind ja gar nicht kinderlieb, wird gejammert. Keine speziellen Kindermenüs im Restaurant, keine Farbstifte und Ausmalbilder, kaum Wickelstationen und wenn, dann total verdreckt, die Spielplätze oft vor Jahren liebevoll eingerichtet und danach dem langsamen Verfall überlassen. Auf die öffentlichen Toiletten wollen wir gar nicht näher eingehen, bloss diese eine Bemerkung sei erlaubt: Nachdem ich habe erkennen müssen, dass sich in diesem Bereich leider noch immer nichts gebessert hat, verstehe ich, weshalb es in jedem Supermarkt diese bunten Desinfektionssets für Kinder zu kaufen gibt. Würde ich in Italien leben, ich würde meine Kinder wohl auch nicht ohne aus dem Haus lassen.

Nein, wenn man Kinderfreundlichkeit an den speziell auf die Bedürfnisse kleiner Menschen zugeschnittene Einrichtungen misst, dann schneidet Italien wirklich schlecht ab. Und wenn man sich eine Stunde lang mit zwei Vorschulkindern durch einen italienischen Supermarkt gekämpft hat und tausendmal hat sagen müssen „Nein, das kaufe ich dir nicht. Ja, es ist schön bunt und ja, es gibt gratis ein Spielzeug dazu aber glaub mir, das ist pures Gift, was in dieser Verpackung steckt“, dann fragt man sich, ob es ein weiser Entscheid gewesen war, mit den Kindern in den Süden zu reisen. Gibt es sie wirklich, diese vielgerühmte Kinderliebe der Italiener? 

Ja, es gibt sie und zwar dann, wenn es wirklich darauf ankommt. Am späten Abend zum Beispiel, wenn die Erwachsenen noch immer nicht genug geschlemmt haben, die Kinder aber müde und ungeduldig werden und nicht mehr auf den unbequemen Stühlen im Restaurant sitzen mögen. In der Schweiz würden jetzt die ersten spitzen Bemerkungen fallen, so in Richtung „Die müssten schon längst im Bett sein, diese kleinen Nervensägen“. In Italien aber stört sich keiner daran, dass die Kinder sich bemerkbar machen. Im Gegenteil, die Kellnerin schiebt gar zwei Stühle zusammen, damit das müde Prinzchen sich nicht auf den Fussboden legen muss. Hier ist es auch kein Problem, wenn ein Kind im Restaurant nach der dritten Vorspeise verkündet, dass es jetzt genug gegessen hat. Okay, man sorgt sich, ob der kleine Mensch nicht am Ende verhungern wird so ganz ohne Pasta, aber wenn er lieber spielen will, dann soll er und ein Dessert gibt’s am Ende trotzdem.

In der Schweiz erlebe ich es oft, dass das Umfeld gereizt reagiert, wenn die Kinder sich wie Kinder benehmen und ich ertappe mich dabei, wie ich an meinen Knöpfen herumnörgele, bloss weil ich die gehässigen Bemerkungen der Leute fürchte. Ich weiss nicht, wie oft ich in der vergangenen Woche genau so reagiert habe und dann mit Erstaunen festgestellt habe, wie das Umfeld völlig gelassen blieb: „Lass sie doch, sie sind Kinder also mach dir keinen Stress“, sagte man und wenn man es nicht sagte, dann liess man uns spüren, dass es vollkommen in Ordnung ist, wenn Kinder Kinder sind.

Eine äusserst entspannende Erfahrung. Was nicht heissen soll, dass eine anständige Toilette und hin und wieder ein sauberer Wickeltisch nicht auch willkommen gewesen wären.