Ach, deshalb habe ich also immer noch Angst

Von Julia136

Gestern war ich bei meiner Therapeutin, einer Verhaltenstherapeutin. Ich glaube es war die hilfreichste Therapiestunde, die ich je hatte. Gerne möchte ich euch, vor allem -aber nicht nur- diejenigen, die auch eine solche oder ähnliche Angst bzw. Störung haben daran teilhaben lassen, was mir klar wurde, was ich verstanden habe und hoffe nun positiv für mich nutzen zu können.

Agoraphobie

Schon einige Male habe ich euch von meiner Angst berichtet.

Ich habe Angst vor großen Hallen (Flughäfen, Konzerthallen, auch einigen Kaufhäusern) und vielen Menschen, eine solche Angst nennt man Agoraphobie. Liest man etwas über Angststörungen im Generellen oder auch der Agoraphobie im Besonderen, heißt es immer “Bloß, die angstauslösenden Situationen nicht vermeiden!” Würde man nämlich anfangen, diesen Situationen aus dem Weg zu gehen, würden sie gedanklich schlimmer und schlimmer, der Lebensbereich der betroffenen Person immer kleiner, im schlimsten Fall bliebe sie am Schluss nur in Ihren eigenen vier Wänden.

In Ansätzen habe ich das erleben müssen. Als meine Ängste begannen dachte ich, ich sei gestresst, müsse mich nur einmal ein paar Tage ausruhen, danach sei alles wieder gut. Ich ruhte mich aus, 14 Tage lang. Blieb zu hause, las, schaute fern, ging nicht raus. Nach diesen 14 Tagen war jedes Verlassen meiner Wohnung eine Überwindung. Mehr als das, es war eine Qual. So oft ich ging vermied ich es.

Irgendwann kam ich an einen Punkt, an dem ich es nicht mehr aushielt gefangen zu sein, diesem Kreislauf entfliehen wollte und begann meine eigene Konfrontationstherapie. Langsam fing ich an normalste Dinge wieder alleine zu tun. In den Supermarkt zu gehen beispielsweise. Für viele hört sich das sehr befremdlich an, da ein Gang in den Supermarkt wohl für alle Menschen, die zwei Beine haben zu den leichtesten Dingen der Welt gehört. Für Menschen mit Agoraphobie kann dies jedoch die gleiche Überwindung kosten, wie andere ein Sprung mit dem Bungee-Seil.

Solche, ganz simplen Situtaionen waren für mich schwierig und teilweise auch unmöglich zu meistern. Nach und nach suchte ich mir kleine Hilfmittel. Zum Beispiel hörte ich auf dem Weg immer sehr laut Musik, um von meiner Umgebung so wenig wie möglich mitzubekommen oder trank sehr viel Wasser um etwas zu tun zu haben.

Nach und nach konnte ich -bis auf einige wenige- fast wieder alle Situationen meistern. Trotzdem blieb die Angst. Jedes Mal bevor ich das Haus verließ hatte ich Angst, war nervös und jedes mal, wenn ich wieder zu hause ankam, wahnsinnig müde, gestresst und oft auch sehr gereizt. Ich habe ständig gekämpft.

Im Laufe der Zeit hat sich das etwas gebessert, nein es hat sich sehr gebessert, aber die Angst, die Anspannung, beides spüre ich immer wieder.

Die RICHTIGE Konfrontation

In all den Artikeln, die ich über Ängste las stand, je öfter man sich in die angstauslösenden Situationen begibt, desto mehr gewöhnt man sich wieder daran, desto normaler werden die Situationen, die Angst würde dann verschwinden. Toll und warum funktionierte das bei mir einfach nicht??

Das fragte ich gestern meine Therapeutin, ihre Antwort war so einfach wie verblüffend. Auch, wenn ich es nicht schaffe ihren genauen Wortlaut wiederzugeben, so versuche ich doch, das wichtigste zusammenzufassen.

Ich habe mich immer wieder in diese, meine beängstigenden Situationen begeben. Immer habe ich mich dabei “geschützt” mit lauter Musik, indem ich telefonierte etc. Dadurch habe ich mich aber nicht konfrontiert, sondern bin mit Angst in die Situation gegangen und mit Angst auch wieder aus ihr geflüchtet.

Will man sich konfrontieren bedeutet das nicht, schnell durch die Situation zu “rennen”, sondern in ihr zu verweilen. Solange bis sie keine Angst mehr auslöst. Das habe ich nie gemacht.

Praktisch bedeutet das also, ich muss in die Stadt, an den Flughafen, ins Stadion oder sonst wohin gehen. Ohne Musik, ohne Handy, ohne sonstige Mittelchen und alles auf mich einwirken lassen, alles wahrnehmen. Ich muss warten bis die Angst weniger wird, bis ich an den Punkt komme an dem ich denke “Jetzt kann ich auch noch hier bleiben.”. Dann kann ich gehen, oder bleiben. Aber ich darf nicht flüchten.

So wie ich es vorher gemacht habe, habe ich mich der Situation nie gestellt und sie war weiterhin angstauslösend für mich, da ich es nie soweit habe kommen lassen, die Angst wahrzunehmen, zu spüren und zu zu lassen.

Zusammen mit der Therapeutin habe ich eine Liste für mich angefertigt, wie also eine richtige Konfrontation aussieht und zwar so

  • sicherstellen, dass ich alles wahrnehme, höre, sehe. Ich müsste danach einer fremden Person die Situation beschreiben können
  • keine Sicherheitsfallen (Tasche, Musik, Handy)
  • Angstabfall muss spürbar sein
  • Stelle auswählen, die am schlimmsten ist, nicht darum herum gehen, dort verweilen

Konsequenzen für mich

Ich war überglücklich, nun endlich zu wissen, warum die Angst einfach nicht gehen will. Jezt kann ich ganz neu anfangen. Das wird schwierig, aber ich will es auf jeden Fall versuchen und auch schaffen. Gestern und heute habe ich schon angefangen und die Kopfhörer einfach mal zu hause gelassen, auch wenn ich an keinem wirklich angsteinflössenden Ort war. Das kommt dann morgen auf mich zu

Ich bin ganz ganz sicher, dass ich es so schaffen werde, dass sich auch meine Angst so Gehör und Aufmerksamkeit verschafft und wir danach beide im Reinen sind.

Alle Selbsthilfe Bücher, die ich gelesen habe (und auch sehr zu schätzen weiß) können mir nur bedingt helfen. Das wichtigste ist die Aktion.

Die Angst will gehört werden und ich habe sie weiterhin so gut es geht ignoriert, damit soll Schluss sein und das ist der richtige Weg, das habe ich im Gefühl!

Das bedeutet aber auch, dass ich für die restlichen paar Tage dieses Monats meine Pläne und Vorhaben erst einmal über Bord werfe und mich ganz diesen Konfrontationen widme. Das wird anstrengend genug!