Was genau wird von der EU in Griechenland gerettet? Der Euro natürlich!, antwortet die rechtslastige Presse europaweit. Dass es die Interessen internationaler Konzerne und Finanzunternehmen sind, können und wollen sie nicht schreiben. Eines ist aber sicher, die Demokratie, dieses stolze europäische Gebilde etwaiger Sonntagsreden, ist es jedenfalls nicht. Die Auflagen Europas an Griechenland sorgen dafür, dass politische Willensbildung nicht mehr stattfinden kann, dass die Alternativlosigkeit Programm wird. Wer an den Sparauflagen innerhalb des griechischen Regierungsbündnisses zweifelt, der wird aus der jeweiligen Fraktion geworfen. So geschehen letzte Woche - berichtet wurde allerdings wenig davon, bestenfalls in Nebensätzen wusste man davon zu erzählen.
Es geht ja schließlich um den Euro. Wieso an einigen Abgeordneten aufhalten, die nicht gewillt waren, die europäischen Interessen in Griechenland zu vertreten? Aber halt, die Presse spricht kaum von Abgeordneten, sie nennt diese Volksvertreter Abweichler. "... Venizelos musste noch in der Nacht sechs Abweichler aus der Fraktion ausschließen", las man da. Würde da nun zu lesen stehen, es handelte sich um sechs Abgeordnete, dann hätte das einen negativen Geschmack. Mancher intelligente Leser könnte sich dann ja fragen, wie es um die Demokratie in Griechenland bestellt ist, wenn man vom Volk gewählte Leute einfach abserviert. Abweichler liest sich doch schon viel zielgerichteter. Abweichen hört sich an wie: nicht folgen, unanständig sein, ausscheren, gebratene Extrawurst, nicht anpassungsfähig. Abweichler sind keine Menschen, die autonom handeln oder denken, sind keine Leute, die Courage haben; Abweichler sind querulantisch und egoman, sind windige Gestalten.
Begrifflich wird eine Tyrannei der Abweichlerei bemüht, um die Diktatur der Troika zu kaschieren. Nur nicht solchen Abweichlern die Möglichkeit geben, den alternativlosen Kurs zu beenden. Das alles mieft fatal stalinistisch. Abweichler sind die begrifflichen Aufweicher, die Weichmacher der Diktatur...
Die griechische Demokratie hatte vormals Defizite, alleine der Sitzebonus für den Wahlsieger ist irrational und verfälschend. Das stört die EU freilich derzeit nicht, denn das Plus an Parlamentssitze fiel den Konservativen zu, die den Kurs der Europäischen Union zu gehen versprach. Hätte nur die Linke gewonnen! Mit Hineinstoßen der Troika in innergriechische Verhältnisse ist die Demokratie dort nicht erstarkt, sondern in Schnipseln beseitigt worden. Dass nun Volksvertreter, die weitere Sparmaßnahmen nicht mehr tragen wollen, ausgeschlossen werden, dass man darüber in Europa nebensächlich berichtet, zeigt deutlich, was die europäische Zukunftsvision ist. Demokratie ist darin eine Option, eine Möglichkeit, sofern sie nicht ökonomisch aneckt. Ein Muss ist sie nicht.
Dieses Europa unter EU-Fuchtel scheint bereits zu abgestumpft zu sein, um Demokratiedefizite und -zersetzungen zu erkennen. Es nimmt hin, was es nicht zu ändern können scheint. So genannte Sachzwänge nötigen Europa Entwicklungen und Entscheidungen auf, bei denen Abweichler nicht gefragt werden können, bei denen die, die anders denken, ausgesperrt werden sollen. Man feiert die EU als ein stolzes Gebilde der Demokratiesicherung, als eine Institution, die demokratische Prozesse verfestigt - und im Namen derselben EU werfen griechische Sozialisten und Konservative Leute aus ihrer Fraktion, die mit den EU-Diktaten nicht mehr konform gehen.
Das Europa der Konzerne nimmt die Demokratie hin, solange sie Profite ermöglicht, solange sie nicht im Weg herumsteht. Das Europa der Konzerne ist jederzeit bereit, sich pragmatisch von ihr zu trennen, wenn es notwendig erscheint. Das ist die einzige Lehre der Euro-Rettung. Je mehr die Sachzwänge über Europa gestülpt werden, desto mehr werden wir von Abweichlern lesen, die man aussortiert hat. Das werden sie jedoch weiterhin Demokratie nennen - als Reminiszenz an längst vergangene Tage.