theater…und so fort
Es ist wieder Zeit, in die Abgründe der Gesellschaft zu blicken.
Nach dem großen Erfolg der Roman-Adaption „Ich hab die Unschuld kotzen sehen“ im Frühjahr (wir berichteten: Ich hab die Unschuld kotzen sehen) steht derzeit neben deren Wiederaufnahme auch der zweite Teil von Dirk Bernemanns Trilogie auf dem Programm des kleinen theater…und so fort in München.
Wieder geht es um gescheiterte Existenzen, Gefühlskälte, traumatische Erfahrungen und dem fehlenden Respekt vor Gesellschaft und Mitmenschen. Ein Sexsüchtiger erzählt, wie er Frauen abschleppt und dann vor die Tür setzt; ein Neonazi landet im Gefängnis und wundert sich, dass seine Kameraden ihn nicht besuchen; ein ungeborenes Kind erzählt, wie es eine Abtreibung erlebt. Diesmal gibt es jedoch neben all den negativen Erlebnissen jedoch auch Lichtblicke für die Figuren, etwa wenn eine junge Frau einem Vergewaltigungsversuch nicht nur entkommen, sondern sogar den Täter ins Gefängnis bringen kann oder ein alter, kranker Mann sich ohne Angst und sogar mit Humor von seinem Leben verabschiedet.
Regisseur Heiko Dietz wollte die Sammlung von Kurzgeschichten diesmal völlig anders auf die Bühne bringen und so gibt es anstelle einzelner Monolog-Szenen eine Art absurder Revue oder Zirkusvorstellung zu sehen. Der Theaterabend beginnt schon beim Einlass, als man von Sarah Dorsel als Einlassdame an seinen Platz gebracht wird. Sie und die anderen vier Darsteller bleiben den ganzen Abend über in einer Rolle. Die Monologe sind in einzelne, auf den ersten Blick nicht immer zum Text passende, Nummern verpackt. Doch durch kleine Details und Symbole sieht man jedes Mal eine Parallele zwischen dem Gesehenen und Gehörten. Etwa als Wolfgang Haas als „Zauberkünstler“ mit scheinbar zufällig gezogenen Spielkarten die Geschichte einer pseudo-harmonischen Weihnachtsfeier mit der Familie erzählt. Neben absichtlich mehr oder weniger überzeugenden Zaubernummern gibt es auch Szenen mit Gesang, Kabarett, Geschichtenerzählern oder im „Wetten dass“-Stil. Verbunden werden die „Nummern“ mit durchaus lustigen Einlagen, meist Johannes Haag als grinsenden Gitarrenspieler, der aber immer zu früh dran ist und wieder von der Bühne geschickt wird. Allgemein hat das Publikum wegen der grotesken Szenen viel zu Lachen bei dieser Inszenierung, wobei man eigentlich angesichts der grausigen Geschichten nicht lachen möchte.
Die Darsteller unterhalten sich oft auch scheinbar privat über Rollenabsprachen oder technische Pannen, was ihnen eine gewisse Distanz zu den Figuren der Geschichten gibt. Dadurch wird dem Zuschauer die Bedeutung des Erzählten oft erst nach einiger Zeit bewusst, da man den Schrecken nicht unmittelbar in der Mimik und Gestik der Darsteller erkennen kann. Wenn man jedoch zum Nachdenken kommt, ist es dafür umso krasser.
Im Mittelpunkt steht zum Einen die Gesellschaftskritik, die durch Bernemanns ungeschönte Texte ausgedrückt wird. Die Sprache ist meistens derbe und direkt und lässt den, sich hoffentlich gewählter ausdrückenden, Zuschauer schonmal einen Schauer über den Rücken laufen. Doch durch die Darstellung der Szenen von Dietz’ Inszenierung wird einem auch vor Augen geführt, was heutzutage alles als Unterhaltung bezeichnet wird. Die frauenverachtende Erzählung des „Fickmenschen“ wirkt zum Beispiel wie eine überspitzte Version gewisser zeitgenössischer „Komiker“.
Doch der Humor der Inszenierung lässt uns mit einer Botschaft aus dem Theater gehen: Das Leben und die Menschen mögen manchmal mies sein, doch es hilft auch nichts, darüber zu jammern. Man muss schlimme Dinge oft mit einem lachenden Auge sehen, um sie zu verarbeiten.
Die Inszenierung wird am 21., 23., 28., 29. und 30. November gezeigt, den ersten Teil „Ich hab die Unschuld kotzen sehen“ kann man noch am 20. und 22.11. sehen. Für alle Hartgesottenen gibt es am 1. Dezember ab 17.13 Uhr ein Double-Feature mit beiden Stücken.
Karten für alle Veranstaltungen gibt es unter der Telefonnummer 089/23219877 oder unter http://www.undsofort.de/kartenbestellung