Abschied von Sally

Vierter Advent 088

Sally hat sich heute auf die große Reise hinter den Regenbogen begeben. Unsere Riesenseele hat uns verlassen.

Vor wenigen Wochen erst hat sie ihren sagenhaften Geburtstag von 11 Jahren gefeiert, und das unter Anteilnahme vieler, was uns sehr gefreut hat.

Über zehneinhalb Jahre lang hat sie uns begleitet, und wir blicken voller Dankbarkeit auf ein reich erfülltes Leben zurück.

Bis auf einen einzigen Tag in ihrem ganzen Leben – und warum sie da traurig war, habe ich nie herausgefunden – war sie immer voller Frohsinn und Spieltrieb. Jeden Morgen begann sie mit einem strahlenden „HURRA, ein neuer Morgen!!! Welche aufregenden Abenteuer werden mich heute erwarten?“ und sorgte bei uns allen für gute Laune und Freude auf den neuen Tag. Jeder Tag war schön, weil er so begann.

Sie hat uns Kraft gegeben. Und war ein Vorbild darin, nie den Lebensmut zu verlieren, egal wie schlecht es geht.

Sally kam mit fünf Monaten zu uns, wir haben sie im März 2005 an einem tief verschneiten Tag in Thüringen abgeholt, einmal hin und zurück.

Sie war spindeldürr, kannte keine Menschen und nichts außerhalb des Zwingers, auch keine Treppen und Hauseingänge, geschweige denn Autos. Wir mussten sie ins Auto tragen, und wir mussten sie ins Haus und wieder hinaus tragen, beim Spazierengehen warf sie sich einfach hin, sobald sie sich überfordert fühlte ob der Unmenge an Reizen, die auf sie einstürmten.

Sie war durch die isolierte Haltung in ihrer geistigen Entwicklung teilweise gestört und blieb zeitlebens autistisch, aber das hat sie nicht weiter behindert oder Einfluss auf ihre überschäumend gute Laune genommen. Wir waren es, die uns anpassen mussten, und das war sehr lehrreich.

Wir mussten nicht nur lernen, wie man mit einem Riesenhund und noch dazu Irischen Wolf umgeht, sondern auch, was bei Autismus zu beachten ist und dass es diesen durchaus auch bei Hunden gibt.

Wir mussten auch lernen, wie man ein Auto, ein Gasthaus, ein Hotel, Treppen und überhaupt alles an einen riesigen Hund wie diesen anpasst. Denn es war ja nicht allein die Höhe, es war vor allem die Länge von gut einem Meter sechzig, aufrecht stehend über zwei Meter, mit der man erst mal zurechtkommen muss, sobald man sich außerhalb des eigenen Hauses begibt. 55-60 Kilo trägt man ohnehin nicht so leicht, aber bei dieser Länge ist das Scheitern zwangsläufig vorprogrammiert, selbst wenn man zu zweit ist. Hundemäntel, Geschirre, alles musste in Handarbeit angepasst werden, weil es hierfür keine Stangenware mehr gibt. Bequeme Pads, ok, findet man mit einigem Suchen, aber lieber bestellen und liefern lassen, weil man es nicht unbedingt ins Auto bekommt.

Aber wir haben andererseits auch einen sehr pflegeleichten Hund bekommen. Als Windhund benötigte Sally keine stundenlangen Spaziergänge, sondern eine halbe Stunde toben, und alles war in bester Ordnung, dann wieder hingehauen und geratzt. Sie verlangte auch keine ständige Aufmerksamkeit, dabei zu sein genügte vollauf. Und sie war ja, solange es ging, überall dabei. Auf Lesungen, Veranstaltungen, Cons, im Gasthaus, auf Stammtischen, Geburtstagen, in Deutschland, Österreich, Holland, Italien. Ganz selten mal hat sie gebellt, dann hatte es aber wirklich seinen Grund, ansonsten war sie ein ruhiger und angenehmer, unauffälliger Begleiter. Na gut, streichen wir das unauffällig. Obwohl, es ist uns schon im Gasthaus passiert, dass Leute zu Tode erschrocken sind, wenn wir aufgestanden sind und sich auf einmal die Riesin entfaltet hat, die bis dahin still im Eck gelegen hatte.

Das G’schau hatten wir mit ihr natürlich immer. Und erstaunlicherweise hatte nie jemand Angst vor ihr, ihre Sanftmut strahlte einfach aus allen Poren und hüllte jeden ein. Zu 90% waren die Leute überaus fasziniert von ihr. Und sie hatten auch keine Probleme, im Lokal über sie hinwegzusteigen, wenn sie sich mal wieder voll in den Weg gelegt hatte, ihr Lieblingsspiel.

Nie werden wir vergessen, als wir das erste Mal mit der damals sechs Monate alten Sally und der acht Monate alten Anabell nach Kaufbeuren gefahren sind.

Dieser damals schon riesige, aber immer noch künftig um weitere zwanzig Zentimeter wachsende Junghund erstarrte zur Salzsäule, als wir in die Hauptstraße einbogen, und dann stand sie da, mit offenem Maul und großen Kinderaugen, voller Staunen hin und herblickend, sie konnte es kaum fassen: das also ist eine Stadt?!

Und dann wollte sie alles sehen, blieb an jedem Eingang stehen, jeder Ecke, schaute die Häuser hoch und runter, eine unvergessliche Stunde.

Durch die Mangelernährung in der Aufzucht erlitt sie eine schwere Darminfektion, von der sie sich aber restlos erholte und zeitlebens einen Konvertermagen besaß, in den einfach alles passte – jede Füllmenge und alles, was schluckbar war, sei es Butterpapier oder die roten thailändischen Chilischoten.

Sally hieß eigentlich Lasara from the Coloured Hounds, und Lasara ist ein toller Name. Aber nicht für Sally, denn sie war eben ein bisschen anders, gar nicht so, wie man die stolzen, edlen Wölfe sonst erlebt. Sie war täppisch, chaotisch, verwirrt, übersprudelnd, einfach alles, nur niemals würdevoll. Sie war eben Sally. Sie war unser Familienmitglied.

Sie wusste nie, wie groß sie war, denn sie hatte mit kleinen Hunden im Zwinger zusammengelebt, und war deshalb nicht in der Lage, über eine 15 Zentimeter hohe Hürde hinwegzusteigen, sondern versuchte verzweifelt, unten durch zu kommen.

Mit vier Jahren bekam sie im rechten Knie schwere Arthrose, mit 8 Jahren, schon im für Riesenhunde sehr hohen Alter, erlitt sie eine schwere, hochfiebrige Lungeninfektion, bei der ihr gewaltiger Herzschaden zutage trat. Eigentlich konnte man mit diesem extrem vergrößerten Herzen mit einem nicht mehr messbar rasenden Schlag gar nicht mehr leben. Doch eine Riesenseele benötigt eben auch ein Riesenherz.

Sallys ungeheurer Lebenswille sah das Ende keineswegs gekommen. Sie erholte sich auch noch von zwei folgenden Rückschlägen und versprach mir, Pfote in Hand, sie würde 10 Jahre alt werden.
Sie hat sogar noch mehr erreicht.
11 Jahre, 3 Wochen und 3 Tage.

Ihr Lebenswille, ihre Kraft, ihre bis zum Schluss ungebrochene Fröhlichkeit und ja, Verspieltheit, sollten ein Ansporn für uns alle sein. Selbst mit ihren mittlerweile Grauer-Star-blinden Augen hat sie uns noch jeden Tag angestrahlt und gegrinst. Sie konnte bis zum April 2015 immerhin noch 200 Meter Gassigehen, sie bestand darauf und hopste ab und zu noch wie ein Karnickel vor Übermut, Rennen ging ja schon lange nicht mehr. Doch nach einer weiteren Infektion Ende April war sie Anfang Mai dann das letzte Mal „draußen“, sie wurde einfach zu schwach, fortan musste sie sich mit dem Garten begnügen, was sie aber auch gern tat.

Ein Irischer Wolf ist kein Hund, den man „mal so hat“, er blickt zurück auf 3000 Jahre Geschichte an der Seite des Menschen. Er ist einzigartig.

Liebe Sally, auch wenn du nichts von dem erfüllt hast, was man deiner Rasse nachsagt, mit Ausnahme deiner Größe von 84 Zentimetern Schulterhöhe und deiner unendlichen Sanftmut, so warst du doch genau der Traumhund und etwas, das man nicht jeden Tag erlebt. Ein echter Elfenhund eben. Wir sind dankbar, dass du uns so viele Jahre, mit denen wir niemals gerechnet hätten, begleitet hast.

Gute Reise hinter die Regenbogenbrücke, wir werden dich unendlich vermissen, aber da drüben machst du nun jemand anderen glücklich.

(Wer mag, kann sich eine kleine Bildersammlung im Eintrag vom 8.10. anschauen.)


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