Das Mädchen, nur eine Woche jünger als mein Großer und kurz vor ihm in unserer Kita eingewöhnt, war seine erste Freundin, im Alter von 2,5 Jahren ging er Hand in Hand mit ihr durch den Kita-Garten, wie uns seine Erzieherin gerührt berichtete. Sie waren sich sehr ähnlich, sowohl vom Wesen als auch vom Spielverhalten her. Bis einschließlich zum 5. Geburtstag luden sie sich immer gegenseitig zu ihren Geburtstagsfeiern ein. Mit der Zeit orientierten sich beide mehr zu anderen Kindern, aber es blieb so eine Grundvertrautheit zwischen den beiden.
Der Junge war ein halbes Jahr jünger als meine Kleine. Sie waren damit aus der ursprünglichen Kerngruppe des Großen in der Kita die nächste Familie nach uns, die ein zweites Kind bekamen. Das verbindet. Ein dreiviertel Jahr später durfte ich die Patin dieses Jungen werden, er ist mein einziges Patenkind und ich vermute, er wird auch das einzige bleiben. Er hat sich immer total gefreut, wenn er mich gesehen hat, und ich konnte ihn problemlos schon mit ca. 2,5 Jahren von der Kita mitnehmen. Ich bin sehr traurig, dass er in meinem Alltagsleben nun nicht mehr vorkommt. Ein quirliges, lebhaftes, offenes Kind, das mir fehlen wird. Und die Kleine sagte immer, dass er ihr bester Freund unter den Jungen sei.
Durch die gleiche Kita und ähnliche Abholzeiten haben wir uns sehr oft gesehen, waren zusammen Eis essen, auf dem Spielplatz und zuhause in der Wohnung. Die großen Kinder waren von Anfang an zusammen in einer Kitagruppe und die beiden kleinen kamen - ein wenig versetzt - auch in dieselbe Gruppe. Bis wir im Frühjahr erfuhren, dass die Familie wegzieht, hofften wir, dass die beiden Großen zusammen in eine Schulklasse kommen, wir hatten das als Wunsch so angegeben. Der nachmittägliche Weg von der Schule zur Kita oder umgekehrt wäre dann identisch gewesen und man hätte auch mal das jeweils andere Kind mitnehmen können. Ein weiteres Kind, was der Große seit Jahren kennt, hätte ihm noch mehr Stabilität beim Übergang in die Schule gegeben. Es sind nämlich jetzt tatsächlich nur noch einige wenige Kinder aus der ursprünglichen Kitagruppe übrig geblieben, die auf die Einzugsgrundschule kommen.
Wenn sie uns in unserem Garten besuchten, haben die 4 Kinder meist total harmonisch und zufrieden zusammen gespielt. Im Winter waren wir zusammen Schlittenfahren, im Herbst Drachensteigen, wir waren zusammen im Kindertheater und im Park. Manchmal nahmen wir auch gegenseitig ein Kind von der Kita mit, wenn das andere versorgt war. Diese Familie war die erste, wo die Kleine mal allein war, worin sie sich ja schwerer tat und länger brauchte als der Große. Als ich mit dem Großen zur Mutter-Kind-Kur war, war diese Mama die einzige, die ich bitten konnte, mal die Kleine mitzunehmen. Obwohl es selten der Fall war, gab es mir eine gewisse Sicherheit, zu wissen, dass ich im Notfall jemanden hätte, der die Kleine mitnehmen könnte. Um den Großen hatte ich da nie so große Sorgen, weil es immer mehrere potentielle Abholer gab. Das war bei der Kleinen nicht der Fall. Zwar existierte kein regelmäßiger Austausch mit dieser Familie, aber als Notfall-Entlastung im Hintergrund war das sehr beruhigend. Für uns ist der Wegfall dieser Familie als einer von zwei potentiell entlastenden Familien ein herber Verlust.
Am vorletzten Kitatag der beiden Kinder feierten wir den Abschied nachmittags im Eiscafè und spielten ein letztes Mal im schon halbleeren Zuhause zusammen. Ich hatte ein paar Geschenke, darunter eine Fotocollage mit einigen schönen Fotos, besorgt. Am letzten Kitatag ging die Bezugserzieherin der beiden Großen mit 10 ausgewählten Kindern Eis essen. Das fand ich eine wunderschöne Idee. Als ich meine Kinder nachmittags abholte, waren die Fächer der Wegziehenden schon leer. Das war echt ein trauriger Anblick. Wir trafen sie noch kurz auf der Straße und verabschiedeten uns erneut. Und dann war es vorbei, endgültig.
Das ist jetzt eine Woche her. Die Kleine fragt öfter nach ihrem Freund. Für sie wirkt es sicherlich noch so, als wäre er im Urlaub. Der Große hat wohl schon verstanden, dass sie jetzt so richtig weg sind. Ich selbst finde es sehr unwirklich, von Menschen bewusst Abschied nehmen zu müssen, die ein Bestandteil unseres Lebens hier waren, und zu wissen, dass man sich nicht oder äußerst selten wiedersehen wird. Denn das wird so sein, so realistisch muss man bleiben. Das Mädchen wird dort in die Schule kommen und der Junge in die Kita. Auch unser Leben wird bald durch die Schule noch strukturierter und durchgetakteter sein als ohnehin schon. Die Entfernung ist einfach zu weit. Das ist Fakt.
Natürlich können wir das nicht ändern und ich wünsche ihnen von Herzen, dass es die richtige Entscheidung für sie war und sie sich wohlfühlen werden. Traurig ist es trotzdem, so bewusst Menschen loszulassen und zu verabschieden. Ein Verlust, auf jeden Fall, und für die Kinder sicherlich deutlicher zu spüren als der Verlust ihres Opas im letzten Jahr, der keine Rolle in unserem Alltagsleben spielte. Daneben bedrückt mich auch, dass unser kleines Netzwerk nun noch kleiner geworden ist.
Für die Wegziehenden beginnt ein neuer, aufregender Lebensabschnitt. Für die anderen bleibt nur die Traurigkeit. Und ein Loch im Netz.