Über den Tod reden? Aber sicher! Das sagen zumindest Annelie Keil und Henning Scherf in ihrem Buch „Das letzte Tabu“, das im Herder Verlag erschienen ist. Auch wenn unsere westliche Gesellschaft Tod und Sterben weitgehend anonymisiert – in meinem Umfeld wird das Thema jedenfalls nicht tabuisiert, weshalb mir „Abschied leben lernen“ als Haupttitel besser gefallen würde.
Aber sei’s drum: mit dem Werbeslogan „Früher an später denken“ bringt eine Versicherungsgesellschaft den Tenor des Buches auf den Punkt. Die beiden Autoren beschreiben ihre persönlichen Erfahrungen mit dem Tod, die erschreckenden wie die tröstlichen und setzen sich für eine möglichst angstfreien und selbstbestimmten Umgang mit dem Prozess des Sterbens ein.
„Die Hospizbewegung, die Entwicklung der Palliativmedizin, Veränderungen im Bestattungswesen, ehrenamtliche Hilfen aller Art – all das ist getragen von der Einsicht, dass eine Gesellschaft nicht auf eine Kultur der Menschlichkeit am Lebensende verzichten darf“, postulieren Annelie Keil und Henning Scherf zu Beginn.
Und sie machen auf den folgenden Seiten Mut, „nicht erst am Lebensende Abschied gemeinsam zu leben, erträglicher zu machen und menschlicher zu gestalten, was wir zuletzt alle durchleben müssen. Gerade im Sterben, wenn wir unsere Verletzlichkeit besonders stark erfahren, brauchen wir Professionalität und Phantasie, Eigensinn und Respekt, vor allem aber menschliche Zuwendung.“
Die Angst vor dem Ende des Lebens hindert viele Menschen daran, schon mitten im Leben einen offenen und freien Dialog übers Sterben zu führen – dabei wäre das der erste Schritt auf dem Weg zum Ziel! Und mal ehrlich: ist nicht das gesamte Leben bereits vom Abschied nehmen durchzogen?
Liebespaare trennen sich, Kinder verlassen das Elternhaus, Arbeitsplätze werden gewechselt – der einzige Unterschied zum Sterben ist, dass diese Abschiede nicht so endgültig empfunden werden.
Nicht zuletzt hat eine Art Machbarkeitswahn der Medizin den Tod manipulierbar gemacht, beobachten die Autoren und fordern auf, gerade auch ganz bewusst das zu erkennen und anzuerkennen, was eben nicht mehr geht.
Ob man sterben wirklich lernen kann, darf natürlich bezweifelt werden – dass es sehr wertvoll, diesen Prozess so bewusst und liebevoll zu gestalten, zeigen die beiden Autoren, dass das „Verbliebene“ immer noch sehr bereichernd sein kann, wenn man sich darauf konzentriert, all das gehört zur Kunst des Sterbens dazu.
„Was man in der Lebenskunst nicht gelernt hat, lernt man auch nur schwer in der Sterbenkunst“, bemerkt Annelie Keil sehr treffend und nennt als Beispiel die Ungeduld, die unseren Alltag durchzieht und mit der wir nicht zuletzt auch auf den Sterbenden blicken.
Demut, als eine tief geistige, spirituelle Haltung ist hier der Schlüssel, denn Geduld und Demut gehören zusammen. Sie hilft nicht nur, „dem Tod zu begegnen und das Leben zu erfahren“, sondern sich auch der biografischen Herausforderung die das Abschied nehmen mit sich bringt, zu stellen.
Wieso sterben so viele Menschen ungewollt alleine, was kann Familien helfen, wenn sie mit dem Tod konfrontiert sind, wer hilft Sterbenden, ihre Selbstbestimmung und Rechte zu wahren und was können wir alle von Sterbenden neu lernen? Keil und Scherf geben ehrliche, kluge Antworten, überdenken den Status Quo und zeigen Möglichkeiten.
„Wenn wir Ängste und Sorgen gemeinsam annehmen, bleibt niemand ausgeschlossen; so kann eine Kultur der Menschlichkeit am Lebensende gelingen“, sind die Autoren überzeugt und wenden sich sowohl an Menschen, die gedanklich mit dem eigenen Tod umgehen wollen, sondern auch an Pfleger und Begleitende.
Dass Einsicht und Nachfrage bei vielen Menschen da sind, zeigt die Tatsache, dass „Das letzte Tabu“ ein Spiegel-Bestseller ist. Und tatsächlich profitieren wir alle davon, wenn wir einen – unseren – Teil zur Entwicklung einer menschlichen Sterbekultur beitragen.
Annelie Keil | Henning Scherf „Das letzte Tabu. Über das Sterben reden und den Abschied leben lernen“, 256 Seiten, Hardcover, 19 Euro 99, Herder Verlag