absage an alle ewignörgelnden

Von Bernhard Jenny @bernhardjenny

nein. wirklich nicht. ich lasse mich nicht mehr ein auf die ewignörgelnden. auf die immer wieder bedenken habenden, auf die “ja schon, aber”-typen, auf die “was ist mit den unsrigen”-sager_innen oder gar auf die “der islam wird uns überspülen”-zweifler_innen.

es ist vorbei. zulange dauert nun schon das elend an. der krieg vor europas haustür, die konflikte in anderen ländern. zeige mir, welcher dieser konflikte nichts mit europa und/oder dessen interessen zu tun hat! die nöte in den verschiedensten regionen dauern alle schon lang genug an, dass es allen, die einigermassen denken können, möglich gewesen sein muss, sich ein bild von der not und dem elend zu machen, aus dem die menschen fliehen.

wer diesen menschen stacheldraht, einreiseverbote entgegenstellt und keine legale möglichkeit zur flucht in unsere länder bietet, ist so schuldig, wie jemand, der menschen nur mit dem richtigen ausweis oder glaubensbekenntnis oder hautfarbe aus einem brennenden haus rettet. wer es bis jetzt noch nicht spürt, was da läuft, wird es wohl nie verstehen.

die politisch weiterdenkenden menschen sind aber NICHT die umerziehungspädagog_innen für ewiggestrige, für dumpfe zyniker_innen, für hetzposter_innen oder sonstige verschwörungstheoretiker_innen, die entweder nichts kapieren oder noch schlimmer, bewusst nicht einsehen wollen, dass es nur eine menschheit gibt. die zivilgesellschaft kann nicht warten, bis alle dem notwendigen zustimmen, sondern muss einfach handeln. ein möglichst breiter konsens ist zu suchen, aber nicht das verständnis aller abzuwarten.

ich habe es endgültig satt, rechtfertigen zu müssen, warum alle menschen als eben solche behandelt werden müssen, dass menschenrechte unteilbar (und nicht erst zu verdienen!!!) sind. menschenrechte gelten für ALLE. für die, die sich super für sympathische bilder eignen, kleine kinder, schöne frauen und grosse männer ebenso, wie für jene, die krank, schwach oder ungepflegt sind und überhaupt nicht unsere empathie ansprechen. menschenrechte sind kein bonus für mitglieder der “brave menschen”-clubs, menschenrechte gelten auch für die traumatisierten, aggressiven, vielleicht noch ungepflegten menschen. eben für alle.

in den letzten tagen durften wir erleben, dass es eine (für manche unerwartet) grosse anzahl an menschen gibt, die einfach helfen wollen, die den menschen entgegen gehen, sie herzlich willkommen heissen und nicht hinter allen eine bedrohung sehen. in diesen bilder steckt eine doppelbotschaft: die mehrheit der menschen ist wesentlich offener und bewusster, als es die politiker_innen glauben, und diese menschen warten nicht mehr auf grosse entscheidungen der politik, sondern werden selbst aktiv. das ist ein schritt in richtung jener offenheit, in der ein grosses europa funktionieren könnte.

ja, mag sein, dass die weltbilder, die anschauungen, die religiösen vorstellungen oder auch gepflogenheiten dieser menschen noch nicht kompatibel zu unserer gesellschaft sind. wenn wir wollen, dass sie das werden, dürfen wir diese menschen aber nicht isolieren oder in getrennte unterkünfte stecken, sondern wir müssen ihnen einen platz mitten in unserer gesellschaft anbieten.

denn dort, mitten in unseren gesellschaften werden sie dann erleben können, was es bedeutet, in einer (konzeptiv) partizipativen gesellschaft des offenen dialoges, in einer emanzipatorisch offenen kultur zu leben. wenn wir die willkommenen an den rand drängen, wird es eng werden. dann werden die randdenker_innen, die ewignörgelnden, die kleingeister recht behalten. denn dann kann es nicht funktionieren.

ein milliardär hat sich kürzlich mit seiner erkenntnis, dass “frauen menschen wie wir” sind, hochnotpeinlich blamiert, weil die gesellschaft in sachen gleichstellung (zumindest im prinzip) schon viel weiter ist.

jetzt müssen wir so weit kommen, dass wir erkennen, wie peinlich die aussage “flüchtlinge sind menschen wie wir” ist. geschweige denn gar die verneinung dessen.

wir brauchen unsere energien für die gestaltung der gesellschaft. wer hilft, wer anpackt, wer sich für die veränderung engagiert, hat keine zeit für mühsame umerziehung, für die (ohnehin im kreis laufende) diskussion mit kleingeistern. sollen sie sich doch selbst figuren an die wand zeichnen.

deshalb hiermit meine
absage an alle ewignörgelnden

ps. jetzt werden manche sagen, dass doch der dialog so wichtig wäre, wenn wir politisch weiterkommen wollen. ja stimmt. aber dialog setzt ein mindestmass an bereitschaft auf beiden seiten voraus. und das ist sehr schnell erkennbar. wenn dies nicht gegeben ist, dann ist es nur zeitverschwendung.

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foto: campact cc licence by sa

dieser artikel ist am 8.9.2015 auf fischundfleisch.com erschienen und ist auch dort aufrufbar.

Schlagwörter: europa, europewelcomesrefugees, flüchtlinge, grenzen, willkommene, willkommenskultur