Abriss-Exkursionen: Taliban in der Trümmerwüste

Die Amerikaner suchen ihn seit fast zehn Jahren, dabei war er immer da, unübersehbar, in typischer Pose, ein unter dem wuchernden Bart hervorgrinsendes Slogan-Gesicht, das versucht, Che Guevara zu imitieren. Ja, unweit der halleschen Innenstadt hat Osama Bin Laden Obdach gefunden: Im Gebäude einer alten, aufgegebenen Brauerei, in der den alkoholfreien Al-Kaida-Chef nicht einmal die Sondereinsatzgruppen des Bundesverteidigungsministers vermuten würden, versammelt der Sohn eines Betonhändlers aus Riad alle paar Tage seine Getreuen zu gemeinsamen Gebet.
"Es lebe der 1. Mai - Kampftag der Arbeiterklasse" kündet ein Plakat zu Füßen des islamischen Gegenpapstes noch von anderen Zeiten, als hier Meisterbräu-Bier abgefüllt wurde, um die Arbeiter und Bauern der Republik abzufüllen. Der erste Brauer hier in der Glauchauer Straße von Halle, direkt an der Saale, wo heute nur noch Ruinen stehen, war Hermann Freyberg, der 1819 begann, hier zu brauen. 1945 wurde sein Brauhaus volkseigen, 1966 schlachteten sie das letzte Brauereipferd. 1971 endete die Ära der Bügelverschlußflaschen, 1978 verschwand die kleine 0,33er Flasche. Der Hallenser trank ja auch immer mehr. Lag der Pro-Kopf-Verbrauch an Bier 1952 noch bei 30 Litern, waren es ein halbes Jahrhundert später schon 142 Liter.
Die kamen aber da schon nicht mehr aus dem alten Brauhaus. 1990 wurde die imposante Betriebsstätte aus Klinkern und Stahl geschlossen, 1996 ging die Brauerei in Konkurs. Ein Architektenwettbewerb sollte das Gelände, in dem eine Zeit lang eine ganz in rosa gehaltene Disco tanzte, für den Wohnungsbau öffnen. Doch Auflagen der Denkmalschützer verhinderten eine Umsetzung der Pläne. Und später fehlten die Investoren, die sich noch in die Trümmerwüste hineingewagt hätten.
Zwei Jahrzehnte nach der Abfüllung des letzten Fasses Bier ist das gesamte Gelände eine Ruine aus brüchigem Stein, Rost, Sprayerparolen und zurückgelassenen Papieren der Personalabteilung. Es riecht nach Leiche, nach Untergang und Endzeit, wo jeden Nachmittag Kinder und Jugendliche eifrig Apokalypse spielen. In der Disko, die in ihren besten Tagen eine Kantine war, schauen leergetrocknete Flaschen durch fingerdicke Spinnenweben, als warteten sie immer noch darauf, aus dem Regal genommen zu werden. Vom Flachdach geht der Blick weit über die Stadt, die von hier aussieht, als ob sie keine Perspektive hat.
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