Das alles hatte sich der Sozialismus selbst aufgebaut. Die senfgelbe Fassade, die langen Flure, die großen Fenster, die schallschluckende Decke im obersten Geschoss. Und Vorsorge hatte er getroffen für den Fall, dass die Herrscher vergangener, schlimmer Tage hätten zurückkehren wollen: Das Kellergeschoss, in das Volksbildungsministerium der DDR die Werkräume und den lauschigen Schulklub hatte unterbringen lassen, hatte nicht nur Stahltüren. Sondern auf beiden Seiten auch einen Lichtschacht über die gesamte Gebäudefront, in dem dicke Betonplatten leicht abgeschägt nach außen liegend nur darauf warteten, im Fall eines Atomangriffs der gefürchteten Nato-Verbrecher nach innen über die Fenster geklappt zu werden.
Es ist nie soweit gekommen, obwohl alles lange danach aussah, wenigstens in den Unterrichtsstunden, in denen die hoffnungsfrohe junge Generation der DDR erklärt bekam, was die Welt im Innersten zusammenhält. Auf der einen Seite die imperialistischen Aggressoren, auf der anderen die friedliebenden Völker, die sich vom Joch der Kapitalisten befreit hatten oder doch kurz davor standen, sich befreien zu wollen.
Die Schule, die die 22. in der vom Licht einer leuchtenden Zukunft beschienenen Chemiearbeiterstadt Halle-Neustadt war, trug den Ehrennamen des tschechischen Arbeiterführers Klement Gottwald, der sein Land und gleich auch noch die benachbarte Slowakei nach dem 2. Weltkrieg fröhlich mordend in die neue Zeit geführt hatte. Der Stalin von Prag würde später als Alkoholiker enttarnt werden, man würde ihm nachsagen, Syphilis gehabt und Mitglieder der eigenen Partei hinrichten lassen zu haben.
Soweit aber ist es noch nicht, als auf dem Schulhof der Klement-Gottwald-POS, die siamesisch zusammengewachsen ist mit der Robert-Mühlpforte-POS, die nach einem angeblich "an den Folgen der faschistischen Haft" verstorbenen Widerstandskämpfer, unverfrorenes Kinderlachen erklingt. In der DDR ist Gottwald ein Held, so wie das Lernen hier ja auch eine "Friedensaufgabe" zur "Stärkung des Sozialismus" ist.
Als der trotz aller gewonnenen Stärke nicht mehr weiter kann, beginnt auch die Abenddämmerung für Margot Honeckers Märchenstube. Halle-Neustadt wird von der Stadt zum Stadtteil, die Menschen ziehen weg, die erst Mitte der 70er Jahre eröffnete Schule leidet unter wachsendem Schülermangel.
Da wird kein Eimer Farbe mehr verschwendet, kein Nagel mehr neu in die Wand gehauen. Zwei Jahrzehnte nach dem Mauerfall beginnt der Abriss, der wahrscheinlich letzte einer Schule, die inwendig immer noch die Tapeten vom Tag ihrer Einweihung trägt. Es riecht nach Chemielabor, die Treppenhäuser schmecken nach Baustaub. Schrottsammler Haben sich die elefantösen Gusseisen-Heizkörper geholt. Sonst aber ist beinahe alles, wie es war. Keine Scheibe zerschlagen, keine Tür zertreten. Es gibt ja auch keine Kinder oder Jugendliche mehr hier. Auf die Freifläche soll deshalb nach dem Abriss wie immer eine Skaterbahn kommen.
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