Abriss-Exkursionen: Heimatland ist abgebrannt

Private Hilfe beim Rückbau der städtischen Strukturen aus den Zeiten der Diktatur hat die Stadtverwaltung der mitteldeutschen Kulturhauptstadt Halle von Unbekannten erhalten. Während die Behörden beim Abriss von Hochhäusern, Altbauten und Funktionsgebäuden aus den Zeiten der Arbeiter- und Bauernmacht zuletzt weitestgehend allein agieren mussten, griffen bei der Beseitigung eines in den Tagen der großen Versorgungsnot zur Gaststätte umfunktionierten Schiffes freiwillige Helfer ein.
Ziemlich genau ein Jahr, nachdem der letzte Pächter der Ausflugskneipe "Piratennest" tot in einem Abflusskanal neben seinem Schiff gefunden worden war, zündete ein reisendes Abrisskommando den seit 36 Jahren auf dem Trockenen liegenden ehemaligen Saaledampfer beherzt an.
Ein Autofahrer, der auf der nahegelegenen Bundesstraße vorbeifuhr, war der einzige Augenzeuge des letzten Aktes: Als die Feuerwehr eintraf, brannte das Objekt nach Polizeiangaben allerdings schon "in voller Ausdehnung" - und die herbeigerufenen Feuerwehrmannschaften hatten die falsche Tragpumpe dabei, so dass trotz eines Sees, der nur 20 Meter entfernt liegt, kein Wasser zum Löschen herangepumpt werden konnte. Eine Situation wie in Fukushima: Im Prinzip ist klar, was geschehen müsste. Aber dann fehlt es an einer Kabellitze, einem Radierer, einem C-Rohr.
Ende eines Film, vor dem eigentlich bereits vor einem Jahr der Vorhang gefallen war. Beim Versuch, seine wegen des herrschenden Frostes abgeschaltete Wasserleitung wieder aufzudrehen, war der 43-jährige Wirt des Festlandfahrgastschiffes am Naturbad Angersdorfer Teiche damals kopfüber in einem Versorgungsschacht steckengeblieben und gestorben. Ein Tod wie im Comicstrip. Seinen Koch, der das Geschäft hatte übernehmen wollen, hatte die Stadtverwaltung danach beharrlich vertröstet. Ziel sei es, das Gebiet zu renaturieren, hieß es, eine Ausflugsgaststätte passe da nicht ins Bild.
Das Boot mit mehr als 70 Gaststättenplätzen, das früher der staatlichen Handelsorganisation gehört hatte und bei Jugendlichen aus der Neustadt berühmt dafür war, bereits an 13-Jährige wenigstens drei große Bier auszuschenken, stand daraufhin leer und verloren am Rande der Stadt, wo es nach einer Karriere als Saaleflussschiff unter den dem jeweilig herrschenden System leicht zuzuordnenden Namen "Monika" und "Heimatland" gelandet war. Generationen von Kindern und Jugendlichen erfuhren hier ihre Initiation ins Erwachsenenleben: Große Biere, dicke Köpfe, eine Schachtel F6 auf dem Tisch und 30 Jahre Knast in der Nachbarnische.
Mit dem Mauerfall änderte sich der Name noch einmal, aus "Piratennest" wurde nun das weltläufige "Paloma". Bier für Minderjährige gab es bald nicht mehr, Spaziergänger aus der sich langsam entvölkernden nahen Neustadt fanden sich auch immer weniger ein. Lebenden Leibes begann das Trockenboot schon mal mit der angestrebten Renaturierung. Nun ist "Heimatland" abgebrannt. Der Stadtumbau schreitet voran. Die Natur holt sichs wieder. Alles.
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