Noch knapp einen Monat können aufgeklärte Verbraucher bei Foodwatch über ihren Favoriten bei der Wahl zur Werbelüge des Jahres 2011 abstimmen. Mit dabei: 2 Süßigkeiten, 1 Yoghurt, Gurken und Mini-Würstchen. Das Spektrum der Kandidaten wirkt auf den ersten Blick reichlich ausgewogen, allerdings rekrutiert Foodwatch die Kandidaten nur aus den selbst vorgestellten Blogbeiträgen – eigene Vorschläge können die zum Mitmachen animierten Konsumenten nicht. Anlass genug, sich die fünf Finalisten einmal genauer anzusehen, die uns Foodwatch als die größten Werbelügen anbietet. Aus den Augen des Marketing…
Nimm2 (Storck): Eins vorweg – die Texter bei Storck haben sich wirklich einiges einfallen lassen, um ihrem Produkt eine eindeutige Positionierung zu geben. Die Geschmackssorten Zitrone und Orange stehen seit jeher (wie alle Zitrusfrüchte) für Vitaminliferanten. Storck springt auf diesen Zug auf und fügt den klebrigen Drops Vitamine bei, um diesen Erwartungen gerecht zu werden und das Alleinstellungsmerkmal (USP, Unique Selling Proposition) zu manifestieren. Auch hier weiß man: Nur, wenn’s drin ist, darf ich’s auch drauf schreiben! Foodwatch bemängelt nun, dass diese Vitamine bei Kindern gar nicht in mangelnder Konzentration vorlägen – einen Beleg für diese These bleiben die Lebensmittelwächter aber genauso schuldig, wie Storck für positive Auswirkungen auf den Vitaminhaushalt. Weiterhin kritisiert Foodwatch, dass das Fruchtbonbon mit glücklichen Kindern auf der Verpackung wirbt. Freunde, was habt ihr denn erwartet? Traurige Diabetis-Greise in einem verregneten Hinterhof? Man kann sich doch nicht ernsthaft über eine zielgruppengerechte Positionierung und Kommunikation eines gewinnorientierten Unternehmens wundern… Und noch ein Hinweis am Rande für Storck: Warum spielt das Thema „Tradition“ bei euch überhaupt keine Rolle? Immerhin wird es im deutschen Markt nur wenige Konkurrenten geben, die seit den 60er Jahren ein fast unverändertes Produkt erfolgreich anbieten. Einen Best-Practise-Case für generationenübergreifende Verankerung gibt es gerade bei MonChérie zu bestaunen.
Schlemmertöpfchen feine Gürkchen (Kühne): Perfekte Überleitung: Genau dieses Thema greift nämlich Kühne auf und berichtet, dass das Unternehmen bereits seit 1722 produziert. Was man hier als Beleg für jahrhundertelanges erfolgreiches Bestehen am Markt (=Produktkompetenz) als Kommunikationsinstrument einsetzt, treibt bei Foodwatch wieder den Puls herauf: Dort assoziiert man mit dem „1722″-Siegel ausschließlich traditionelle Fertigungsmethoden. Wer das Etikett nicht richtig liest, mag davon ausgehen. Doch Kühne behauptet das gar nicht: Man arbeite „mit erlesenen Kräutern“ (d.h. nicht ausschließlich) mit „besonderer Hingabe für höchsten Genuss. Seit 1722″. Letzteres bedeutet weder, dass „feine Gürkchen“ seit 1722 in den Supermarktregalen stehen, noch dass Fertigungsmethoden aus dem späten Mittelalter eingesetzt werden. Hinter dieser Aussage steht einzig und allein: Unsere Vision ist der „höchste Genuss“ und dem widmen wir uns mit „besonderer Hingabe“. Das sagt nichts über den Erfolg dieser Bemühungen aus und kann demnach auch nur schlecht zum Vorwurf erhoben werden. In einem Arbeitszeugnis der Gurkenmeister könnte es schließlich auch heißen: „Sie haben sich stets bemüht…“
Activia (Danone): Wenn es um „functional food“ geht (also Lebensmittel, denen einen gesundheitsförderliche Wirkung durch das Beimischen bestimmter Stoffe nachgesagt wird), zeigen sich deutsche Verbraucher weitaus weniger kritisch, als es Foodwatch offensichtlich lieb wäre. Activia ist seit Jahren fester Bestandteil vieler Einkaufszettel und mittlerweile einer der größen Umsatzgaranten im Produkt-Portfolio von Danone. Zentrales Kaufargument des Yoghurtbechers ist die Wirkung gegen „träge Verdauung“ und „Blähbauch“. Foodwatch bemängelt, dass man mit Activia keine „Verdauungskrankheiten behandeln“ könne. Mal davon abgesehen, dass ich mir unter diesem Wort überhaupt nichts vorstellen kann, behauptet bei Danone auch niemand, dass es sich bei der weißen Löffelspeise um ein medizinisches Produkt handele. Die Wirkung sei in jedem Fall vielfach wissenschaftlich nachgewiesen - dass man diese Studien bei Foodwatch durchgearbeitet hat, wage ich zu beweifeln (ich selbst habe übrigens auch nur quergelesen). Das Argument, dass man denselben Effekt durch Trockenpflaumen erreichen könne, mag zwar stimmen, taugt aber nicht als Anklagepunkt gegen Activia: Man behauptet ja schließlich nicht, dass das eigene Produkt alternativen „Behandelungsmethoden“ überlegen sei, sondern nur, dass es eine Wirkung gegen die Beschwerden habe.
Ferdi Fuchs Mini Würstchen (Stockmeyer): Nachvollziehen kann man die Foodwatch-Kritik am ehesten noch bei den kleinen Würstchen, die als „täglicher Snack“ für Kinder empfohlen werden, bei dieser Dosierung aber deutlich zu viel Salz enthalten. Auf der anderen Seite: Die Annahme, dass Kinder sich täglich den Bauch mit kleinen Würsten aus der Tüte mit Fuchs-Cartoon vollschlagen, findet sich wohl eher in der Marketing-Vision von Stockmeyer als in der Realität. Dafür schmeckt das Zeug einfach nicht gut genug… Und selbst wenn: Ist das schon eine Nominerung für den Goldenen Windbeutel 2011 wert? Ist das wirklich eine der 5 schlimmsten Lebensmitteltäuschungen, die Foodwatch gefunden hat? Wenn das so ist, greifen die deutschen Gesetze zur Lebensmittelkennzeichnung anscheinend doch recht gut und Foodwatch könnte das Fach wechseln…
Milch-Schnitte (Ferrero): Wahrscheinlich heißester Anwärter auf den diesjährigen Titel des „Goldenen Windbeutel“ ist die Milchschnitte. Vor kurzem noch warben die Frankfurter noch mit der Boxerin Susi Kentikian und führten damit die Tradition bekannter Box-Testimonials fort. Zentrales Kaufargument damals: Milchschnitte ist leicht und passt zu einem sportlichen Lebensstil. Aber: Mitterweile fährt man hier eine andere Strategie: Mit mächtig Mediendruck wird die Cremeschnitte langsam zur Spaßmarke umpositioniert. „Schmeckt“ zwar immer noch „leicht“, ist aber mittlerweile für jeden augenzwinkernden Schabernack zu haben. Statt „etwas, was nicht so reinhaut“ passt sie jetzt eher zu „wir wollen hoch hinaus„. Diesen Schwenk hätte man bei der Nominierung berücksichtigen müssen. Gesund ist die Milchschnitte zwar immer noch nicht, aber sie tut auch nicht mehr so. Damit wäre sie für die Wahl zum „Goldenen Windbeutel“ 2010 sicher noch ein geeigneter Vorschlag, für 2011 ist sie es objektiv betrachtet nicht mehr.
Statt die deutschen Konsumenten als dringend schutzbedürftig und beschränkt zu zeigen, die den psychologisch brillianten Spielchen der Werbeindustrie hilflos ausgeliefert sind, wäre ein bisschen mehr Vertrauen in die Fähigkeiten der „haushaltsführenden Personen“ angebracht. Schon lange sind wir nicht mehr so markenfixiert, wie noch in den 90er Jahren – auch, wenn das bei vielen Verantwortlichen bitter aufstößt. Zu einem Teil ist das auch der Verdienst von Foodwatch, die ihrem inhärenten Ziel, sich selbst überflüssig zu machen, mit der diesjährigen Wahl zum „Goldenen Windbeutel“ offensichtlich ein großes Stück näher gekommen sind.
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