Vor vielen Jahren diskutierte ich einmal mit einer befreundeten Mutter darüber, ob es überhaupt sinnvoll sei, wenn Eltern sich Auszeiten nehmen. “Aber natürlich ist es sinnvoll”, sagte ich. “Da wäre ich mir nicht so sicher”, meinte die andere Mutter. “Wenn du dir drei Tage lang Luxus und Entspannung gönnst, fällt dir der Alltag danach umso schwerer. Besser, man beisst auf die Zähne und verzichtet auf Auszeiten, sonst ist man nachher nur noch frustrierter.” “Aber man kann doch nicht jahrelang auf die Zähne beissen! Wie soll man bloss den Familienalltag überstehen, wenn man nie ausspannt?”, protestierte ich, doch meine Mitmutter blieb bei ihrer Meinung. Und ich bei meiner.
Heute früh stand ich lustlos in der Küche, betrachtete den mit Brosamen übersäten Fussboden und dachte an diese Diskussion zurück. Noch keine vierundzwanzig Stunden vorher hatte man mir jeden Wunsch von den Augen abgelesen, aber es kam mir vor, als lägen Jahre zwischen gestern und heute. Alles, was ich gewöhnlich mehr oder weniger nebenbei erledige, kostete mich eine gewaltige Überwindung, die alltäglichen Streitereien fielen mir noch mehr auf die Nerven als gewöhnlich. Ob sie doch Recht gehabt hatte, die andere Mutter? Wäre es vielleicht doch besser, sich mit Volldampf durch den Alltag zu kämpfen und sich dann auszuruhen, wenn die Kinder aus dem Haus sind?
Ich liess mir die Geschehnisse der vergangenen Tage noch einmal durch den Kopf gehen, dachte an die ungestörten, tiefschürfenden Gespräche mit unseren Freunden zurück, an das intensive Empfinden von Hitze und Kälte in der Sauna, an die unzähligen Geschmackserlebnisse, die ich wieder einmal ganz bewusst hatte geniessen dürfen, an den tiefen, erholsamen Schlaf. Dann erinnerte ich mich an das pure Glück, das ich empfand, als wir bei unserer Heimkehr unsere Kinder in die Arme schliessen durften, an die tiefe Freude, als mir Luise gestern seit sehr langer Zeit wieder einmal sagte, dass sie mich lieb hat, an die besondere Nähe als ich gestern Abend an Prinzchens Bett sass und Schlaflieder sang.
Ja, es fiel mir schwer, heute wieder in den Alltag einsteigen zu müssen und ich war auch ziemlich frustriert darüber, dass “Meiner” und ich trotz guter Vorsätze so schnell wieder im alten Trott landen. Dennoch bin ich dankbar für jeden Augenblick unserer kostbaren Auszeit. Und auch für den Moment, als wir alle sieben wieder gemeinsam am Tisch sassen. Darum würde ich meiner Mitmutter heute noch das Gleiche sagen wie damals.