Abenteuer Nachtlauf – Ein Mal Superheld sein

Von Jenny Strack

Wenn ich an meinen bisher schönen Laufmoment zurückdenke, beame ich mich immer an einen bestimmten Ort: Nach Italien, genauergesagt nach Cescenatico. Dort hatte ich nicht nur den wohl erfüllendsten, entspanntesten Lauf meines Lebens, sondern auch gleichzeitig den aufregendsten und den spannendsten. Nicht, weil es um eine bestimmte Zielzeit oder eine Finisher-Medaille ging, sondern weil dieser Lauf das genaue Gegenteil war: Ein lockerer Trainingslauf. Und was hat ihn so besonders gemacht, dass ich mich so wahnsinnig gerne daran zurück erinnere? Ganz einfach: Es war ein Nachtlauf, noch dazu in einer fremden Stadt in einem fremden Land.

Um drei Uhr in der früh bin ich an meinem Hotel direkt am Strand zu meiner Laufrunde gestartet. Ich wusste nicht, wie weit ich genau laufen wollte, es sollten nur mehr als 21 Kilometer sein, da ich mich zu der Zeit im Marathontraining befand und die Strecke abgearbeitet werden musste. Grundsätzlich bin eher nicht so die Abenteuerlustige, die sich gerne mutterseelenallein in der Nacht auf Straßen herumtreibt, doch ich hatte mich im Vorfeld über die Gegend erkundigt und letztendlich ist es ja einfach so: Was tun Läufer nicht alles, wenn ein Trainingsplan es von ihnen verlangt?

Und so startete ich, zunächst noch mit Musik auf den Ohren, um mich nicht ganz so allein zu fühlen. Die ersten fünfzehn Minuten gingen ganz schön aufs Herz, denn die Wege am Strand waren verlassen – jedenfalls bis auf die Jugendlichen, die vereinzelt aus den Bars trotteten und die mir jedes Mal einen gehörigen Schrecken versetzen. Aber schnell war die „Barzone“ verlassen und ich wechselte über auf den Strand. Dort, direkt am Wasser auf dem harten Sand, gab es nahezu keine Beleuchtung, nur der Mond schien über mir. Und das war der Moment, in dem ich die Musik ausschaltete. Das Rauschen der Wellen begleitete mich bei jedem Schritt und ich fühlte mich frei und unbesiegbar. Ich wusste nicht, wohin ich lief, es war mir auch völlig egal. Immer am Meer entlang, hin und wieder einen Blick auf ein beleuchtetes Hotel werfen, mit den Schuhen kurz ins Wasser springen, die klare Luft einatmen, sich einfach treiben lassen … Selten fiel mir das Laufen so leicht. Es war ein Runner High, aber so viel früher und so viel stärker als in all meinen vorherigen Läufen.

Das Gefühl in einer fremden Stadt einfach loszulaufen ist unbeschreiblich. Es macht jeden sonst noch so unsicheren Menschen zu einem Held, einem unerschrockenen Athlet, der sich dem Unbekannten stellt. Und ich finde, dass dieser Erfahrung in der Nacht noch einen Touch mehr Zauber inne wohnt. Die Straßen und Wege sind leer, man ist ganz alleine, auf sich gestellt, und niemand ist da, der einem seltsame Blicke zuwirft, bei denen man sich fragt, ob man beim Laufen vielleicht komisch aussieht, das falsche an hat oder ob das laut vor sich hin singen irgendwie schräg sein könnte.

Zwei Mal bin ich bei meinem fast dreistündigen Nachtlauf jemandem begegnet – das erste Mal kurz nach meinem Wechsel zum Meer einem Angler, der sich unheimlich erschreckt hat, als ich plötzlich an ihm vorbeigelaufen bin, und einer Schar Strandarbeiter, die zum Sonnenaufgang hin den Strand aufgeräumt haben. Ich kann mich nicht erinnern, jemals bei einem Lauf so wenig Menschen gesehen zu haben. Das Alleinsein war traumhaft, denn es hat mich komplett zu mir selbst geführt. Ich habe Sorgen, Ängste und unnötige Gedanken ausgeblendet und nur mich und meine Schritte gefühlt – und genossen. Laufen in seiner pursten Form, ohne Blick auf die Zeit, mit einer kurzen Pause hier und da, um den Blick aufs Meer zu genießen.

Nach etwa zwölf Kilometern entschloss ich mich dazu zurückzulaufen; ich hatte die Option, nach Rimini zu laufen und von dort mit dem Taxi zurück zu fahren, doch ich war mir nicht sicher, ob ich das zeitlich schaffen würde, da mein Rückflug relativ früh angesetzt war. Also nun dem Sonnenaufgang entgegen … Hach, es war wirklich wunderschön, die Welt aufwachen zu sehen. Plötzlich wurden die Wellen wilder, die Möven begannen zu kreischen und mitten drin hopste ich zwischen weichem und hartem Sand hin und her. Als die Sonne aufging, kam ich wieder am Strand vor meinem Hotel an, überglücklich und mit tausenden Erinnerungen, die ich fest in meinem Herz eingeschlossen habe und die mir in jedem meiner späteren Läufe Kraft gegeben haben.

Noch heute zehre ich von diesem tollen Lauf, erinnere mich immer wieder daran zurück. Sehe vor meinem inneren Auge die Fußabdrücke meiner Schuhe im feuchten Sand und den Mond und die Sterne über dem Wasser. Und dann denke ich mir: In dieser Nacht warst du eine Abenteuerin, eine Superheldin. Während die Welt geschlafen hat, hast du die Nacht bezwungen – du kannst alles schaffen!

Falls ihr noch nie einen Nachtlauf gemacht habt, dann rate ich euch jetzt ganz dringend dazu! Noch aufregender ist es in einer anderen Stadt; vielleicht sogar ebenfalls am Meer. Wichtig ist nur, dass ihr entweder eine Stirnlampe dabei habt oder der Mond so hell scheint, dass ihr den Untergrund einigermaßen erkennen könnt. Der Wald eignet sich übrigens leider nicht – dort warten im Halbdunkel zu viele Stolperfallen! Ebenfalls dabei haben solltet ihr euer Handy und Geld, falls ihr euch verletzt und ein Taxi benötigt. Und meidet bitte auch fragwürdige Gegenden – in Deutschland hatte ich bei jedem späten Lauf nach Sonnenuntergang sogar Pfefferspray dabei. Vorsicht ist besser als Nachsicht ;-)

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