Abendland im Anerkennungsloch

Abendland im AnerkennungslochÜber „Verdrossenen und die Empörten“ schreibt Herfried Münkler in der Neuen Zürcher Zeitung und obwohl der Text des Berliner Politikwissenschaftlers Augsteins „Freitag“ sofort argwöhnisch die Frage stellen lässt, „wie wenig Kapitalismus und Demokratie noch zueinander passen“, geht es eigentlich um etwas ganz anderes. Die Demokratie ist im Anerkennungsloch, schreibt Münkler, es scheine vielen – etwa dem „Freitag“ – ja so, dass Demokratie und wirtschaftliche Prosperität „nicht mehr so eng miteinander verbunden zu sein, wie dies in den letzten Jahrzehnten als selbstverständlich galt“.
Ist zuverlässiger Wohlstand trotz der chinesischen Aufbauerfolge an eine demokratische Verfassung gebunden? Oder blockiert nicht die Demokratie Fortschritt durch dauernde Bedenkenträgerei? Zeigt nicht die Krise mit ihren stets alternativlosen Entscheidungen, dass nur ein postdemokratisches System schnelle und allen dienliche Entscheidung erlaubt?
Münkler ist nicht sicher, dass die Zweifel an der Demokratie dorther rühren. Es sei „nicht in Abrede zu stellen, dass sich die Rahmenbedingungen für das Funktionieren der Demokratie in letzter Zeit verschlechtert haben – was mit der schwindenden Handlungsmacht des Staates und den Folgen einer wachsenden Einkommens- und Vermögensspreizung in den europäischen Gesellschaften zu tun hat“, schreibt er. Beim klassischen Territorialstaat seien die politischen Grenzen immer auch wirtschaftliche Grenzen gewesen, Staaten kontrollierten ihre Währungen, stimulierten ihre Wirtschaften und konnten „als der erste Adressat für die Wünsche und Forderungen der Bevölkerung auftreten“.
Das geht inzwischen anders. „In Zeiten der Globalisierung, da sämtliche Grenzen an Bedeutung verloren haben, ist der Staat zwar nach wie vor der Adressat von Erwartungen, aber er hat viel von seiner früheren Handlungsmacht verloren.“ Was er nicht zugibt, um nicht Respekt und Zustimmung zu verlieren: „Anstatt auf die Verlagerung der Entscheidungszentren hinzuweisen, tun die Politiker nämlich so, als seien sie nach wie vor Herren der Lage.“ Da sie es aber immer weniger seien, sprächen sie von der «Alternativlosigkeit» ihrer Entscheidungen. „Alternativlosigkeit aber ist eine Vorstellung, die, sobald sie häufiger kommuniziert wird, mit der Demokratie unvereinbar ist.“
Des Pudels Kern liegt hier begraben. Wo die Alternativen fehlen, fehlt es an Notwendigkeit, zwischen Alternativen zu wählen. Demokratie aber nun ist gerade die Gesellschaftsform, in der der öffentlich ausgetragene Dissens am Ende zu den besten Ergebnissen führt – nicht das Kungeln hinter verschlossenen Türen.
Wie aber soll demokratisch diskutiert werden, was global mit immer größerem Zeitdruck entschieden werden muss, weil stets irgendeine Börse öffnet oder eine Kreditlinie zu platzen droht? Gar nicht, sagt Münkler. Die demokratische Mitwirkung des Volkes verwandle sich in eine nachträgliche Beurteilung der Folgen von Entscheidungen. „Selbstverständlich können die politischen Eliten hinterher für das, was sie entschieden haben, durch Machtentzug abgestraft werden; aber die einmal getroffenen Entscheidungen sind in der Regel nicht mehr rückgängig zu machen.“ Die aktive Mitwirkung des Volkes am politischen Prozess werde auf Lappalien beschränkt, während in fast allen wichtigen Fragen nur noch der «Output» beurteilt werden kann. Der Ausgang der anstehenden Wahlen entscheidet sich dann daran, ob eine Mehrheit mit diesem Output zufrieden oder unzufrieden ist.“
Die Entscheidung darüber fällen die „Verdrossenen“, denen es gegen den Strich geht, nicht vorher mitentscheiden zu dürfen. Und die „Empörten“, die die Entscheidungen anders getroffen hätten. Beider Problem ist, dass sie nicht wirklich wissen, was und wie etwas anders gemacht werden kann. Die aber verlangen, auch unter den neuen Bedingungen müssten die alten Regeln gelten: Der Wohlfahrtsstaat muss überbrücken, was das freie Wirtschaften an Gräben schlägt. Und die Schuldenbremse muss dafür sorgen, dass die Brücken nicht in den Himmel wachsen.
Münkler sieht keinen „besseren Mechanismus zur Aushandlung unterschiedlicher Erwartungen und  Interessen als die Demokratie“. Zweifelt aber, ob sie nicht längst Schaden genommen hat: Eine „Erwartungsüberfrachtung“ habe sich in den letzten Jahrzehnten aufgebaut, die regelmässig zu Enttäuschung und Wut führt. Demokratische Kompromisse beeinhalteten früher eben auch, dass alle Beteiligten enttäuscht waren. Heute hingegen – siehe Stuttgart 21 – gilt der Kompromiss immer als Grund für ein Rückspiel.
„Deswegen ist das Projekt der weiteren Demokratisierung der Demokratie riskant, wenn es diesen Erwartungen weiterhin frönt, anstatt sie abzubauen.“ Es sind die, die von der Demokratie alles und insbesondere Wunderdinge erwarten, die für sie am gefährlichsten sind. Der «Wutbürger», von dem zuletzt häufiger die Rede war, ist das Produkt seiner eigenen überzogenen Erwartungen.“

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