Ab in die Städte?

Von Kaffeefan

Ich gebe zu, dass ich in der letzten Zeit viele Themen aus dem Bereich "Internationales und Migration" aufgegriffen habe, beispielsweise den jüngsten Artikel zur gefühlten Migration, zum Welthunger, zur Weltbevölkerung oder zum CO2. Eingefleischte Leser werden Beiträge über exotische Statistiken wie die Klärschlammverwertungsstatistik oder die Aufgliederung von Fußballtrikots nach Farbe vermissen.

Ich habe natürlich auch weiterhin den Anspruch, Statistiken jenseits der großen Themen aufzugreifen. Das Thema Migration ist aber mittlerweile sehr präsent und vieles kommt in den Tageszeitungen und Online-Portalen deshalb auch gar nicht vor, zumal sich nach meiner Erfahrung viele Journalisten nach wie vor mit Zahlen schwer tun. Auch wenn es erfreulicherweise immer mehr Datenjournalisten gibt und in vielen Journalistenschulen das Verständnis von Statistiken auf dem Lehrplan steht.

Deshalb nehme ich mich - schon wieder - dem Thema Migration an. Vergessen wird oft nämlich, dass die eigentliche Migration nicht zwischen reichen und armen Ländern stattfindet. Man kann sogar sagen, dass dies die seltenste Form der Wanderung ist, weil den Menschen in Ländern wie der Demokratischen Republik Kongo (ehemals Zaire) schlicht das Geld fehlt, um die Reise zu finanzieren.

In diesen Ländern gibt es dagegen ein anderes Phänomen, im Kongo (Demokratische Republik) leben nach Daten des CIA World Factbook mittlerweile 11,6 Millionen Menschen im Großraum Kinshasa. Leider macht die Quelle keine Angaben darüber, ob in der Zahl auch die auf der anderen Flussseite lebenden Menschen von Brazzaville enthalten sind, der Ort gehört nämlich zur Republik Kongo (ohne den Zusatz Demokratisch davor, auch wenn das Land vermutlich demokratischer ist als der Nachbarstaat mit dem Namenszusatz).

So oder so leben in jedem Fall mehr als zehn Prozent der Bevölkerung des Landes (es hat ähnlich viele Einwohner wie die Bundesrepublik Deutschland) in der Hauptstadtregion. Das ist ähnlich viel wie in Großbritannien im Ballungsraum London leben - wenn die 11,6 Millionen nur den in der DR Kongo gelegenen Teil umfassen etwas mehr, ansonsten etwas weniger.

Der von mir bereits im Beitrag über den Waldanteil (da kam auch die DR Kongo schon mal vor) zitierte Autor Doug Saunders schätzt, dass mittelfristig rund ein Drittel der Weltbevölkerung in die Städte wandern wird. Vor allem in Afrika besteht noch starker Nachholbedarf, denn dort leben erst 40 Prozent in städtischen Gebieten, gegenüber 72 Prozent in Europa und 81 Prozent in Nordamerika.


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Hier findet also die eigentliche Migration statt. Sie ist weit stärker als die Wanderung von Ländern mittleren Einkommens in die reichen Staaten. Ein Drittel der Weltbevölkerung, das bedeutet rund 2,5 Milliarden Menschen.

Entsprechend starkes Wachstum wird für die Megastädte erwartet. Dhaka in Bangladesch soll im Jahr 2025 gegenüber 2011 um bis zu 50 Prozent gewachsen sein, schätzen die Vereinten Nationen. Dass vor allem in Asien so starkes Wachstum stattfindet, liegt an verschiedenen Faktoren, vor allem

  1. dem Bevölkerungswachstum,
  2. der bisher niedrigen Verstädterung und
  3. der oft mäßigen Infrastruktur abseits der Küsten und der Großstädte.

Wachstum kann hier fast nur in den Städten stattfinden, weil ländliche Regionen oft weder auf der Straße und erst recht nicht auf der Schiene gut erreichbar sind. Gerade in Deutschland sind dagegen auch ländliche Regionen vergleichsweise urban. Man denke an Baden-Württemberg oder das Bayerische Chemiedreieck in Südostbayern, wo es auch abseits von Großstädten eine beachtliche Industrie gibt.

Die Städte Afrikas bleiben leider unterhalb des Radars. Dabei ist hier besonders viel zu erwarten Zuwachs zu erwarten, denn alle drei Faktoren gelten in Afrika noch mehr als in Asien. Das Bevölkerungswachstum ist hier höher - und wird auch hoch bleiben, denn in vielen Staaten Afrikas, darunter auch der DR Kongo, ist die Geburtenrate hoch. Die meisten asiatischen Länder wachsen dagegen vor allem deshalb noch so stark, weil die Geburtenraten vor 20 bis 30 Jahren hoch waren und es deshalb viele junge Frauen gibt, die aber meist nur noch zwei bis drei Kinder bekommen. Doch dazu ein andermal mehr. In Afrika dagegen sind Geburtenraten von vier bis fünf Kindern je Frau in vielen Ländern noch üblich.

Die Verstädterung ist noch niedriger und die Infrastruktur oft schlechter. Es wäre also spannend zu erfahren, wie es hier weiter geht.

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Das hat natürlich auch Auswirkung auf die Reihenfolge der Großstädte. Schon heute sind die Zeiten vorbei, als die größten Städte der Welt in Europa lagen. Nordamerika hat ziemlich früh aufgeholt. Wie Doug Saunders in seinem Buch "Arrival City" schreibt, wurden die meisten europäischen Auswanderer in den USA keineswegs Farmer oder Cowboys, wie es uns Filme und Romane erzählen. Vielmehr gingen die meisten, zumindest ab der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, in die Städte. In New York lassen sich noch heute an der Lower East Side Reste des Deutschenviertels finden, die dort eigene Läden betrieben, eigene Zeitungen und Kirchengemeinden hatten und oft bis in die dritte Generation daheim nur Deutsch sprachen.


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So gab es in Nordamerika, trotz oder sogar wegen der niedrigen Besiedlungsdichte, bald größere Städte als in Europa. Später wurden New York, Chicago und Los Angeles von japanischen und lateinamerikanischen Orten wie Tokyo und Mexiko (Stadt) überholt. Im Jahr 2025 wird nach Schätzungen der UN ein Großteil der zehn größten Städte in Asien liegen, davon die Hälfte auf dem indischen Subkontinent. Vielleicht findet man noch zehn Jahre später auch Lagos oder Kinshasa auf der Liste.

In meinen Lehrveranstaltungen stelle ich immer wieder fest, dass die meisten Studierenden diese Entwicklung für schlechten halten. Verstärkt wird dieser Eindruck auch von den Hilfsorganisationen, die vor allem mit glücklichen Kleinbauern werben. Und wenn schon Stadt, dann wenigsten Urban Gardening. Neulich sah ich eine Werbung für "Stadtwachstum, das man essen kann". Die Rede war aber nicht von Ausbildungsmöglichkeiten für Jugendliche, mit deren Hilfe diese später besser bezahlte Jobs fänden, sondern von Kleingärten in der Stadt.

Natürlich gibt es kein objektives Kriterium dafür, ob solch eine Entwicklung gut oder schlecht ist. Man kann aber feststellen, dass in den Städten der soziale Aufstieg oft gelingt, dass dort weniger Kinder geboren werden und die medizinische Versorgung oft besser ist. Kulturpessimisten werden einwenden, dass auf dem Land der soziale Zusammenhang größer sei und die Menschen eingebunden in traditionelle, Halt gebende Strukturen.

Das lässt sich statistisch natürlich schwer überprüfen. Meine persönliche Meinung ist allerdings, dass wer ein Leben als Kleinstbauer so romantisch findet, zunächst selbst damit anfangen sollte statt als gut bezahlter Journalist, Professor oder PR Manager einer Entwicklungshilfeorganisation vom Glück der Subsistenzwirtschaft zu schwadronieren.

Das heißt natürlich nicht, dass es in den Städten nicht viel Armut und Leid gäbe. Aber vielleicht, liebe Entwicklungshilfeorganisationen, wäre es eine Idee direkt dort anzusetzen und mitzuhelfen, das Los der Menschen in der Stadt zu verbessern, statt die Landflucht von vorne herein zu verdammen.