Ronja Räubertochter.
Paddy Kelly.
Kurt Tucholsky.
Die ersten beiden lasse ich unkommentiert, dem Dritten möchte ich heute meinen Tribut zollen. Es ist höchste Zeit.
Mein Lieblingstext von Tucholsky war damals der Einseiter
"Zur soziologischen Psychologie der Löcher"
Meine Mama hat das so drollig vorgelesen, dass ich mich immer beömmeln konnte wie blöde. Und heute liebe ich den Text auch noch. Vor allem, wenn man sich den folgenden Teil bildlich vorstellt:"Das Loch ist statisch; Löcher auf Reisen gibt es nicht. Fast nicht. Löcher, die sich vermählen, werden ein Eines, einer der sonderbarsten Vorgänge unter denen, die sich nicht denken lassen. Trenne die Scheidewand zwischen zwei Löchern: gehört dann der rechte Rand zum linken Loch? oder der linke zum rechten? oder jeder zu sich? oder beide zu beiden? Meine Sorgen möcht ich haben.Übrigens war ich schon immer hervorragend darin, diejenigen Wörter, die ich nicht verstehe, einfach zu ignorieren. Funktioniert heute bei englischer und spanischer Literatur noch genauso gut, wie damals mit Wörtern wie "statisch" und "Materie".
Wenn ein Loch zugestopft wird: wo bleibt es dann? Drückt es sich seitwärts in die Materie? oder läuft es zu einem andern Loch, um ihm sein Leid zu klagen – wo bleibt das zugestopfte Loch? Niemand weiß das: unser Wissen hat hier eines."
Das Lottchen habe ich auch schon als Kind geliebt. Das Lottchen ist klasse! Unbedingt mal laut von eurer Mutter vorlesen lassen. Spaß vorprogrammiert. (Ich wage zu behaupten, dass dieser Satz sich eigentlich immer bewahrheiten müsste.)
Kurze Zeit später habe ich dann jedenfalls begonnen, selbst zu lesen und Tucholsky geriet in Vergessenheit. Bis ca. zur achten, neunten Klasse, in der wir mit Lyrik anfingen und mein Kinderheld tauchte wieder auf. Ich hatte Glück, dass ich zu der Zeit ein rotzfreches Gör war, sonst hätte sich mein Image in der Klasse nach dem Satz "Boah, wie cool dass wir auch mal Tucholsky lesen, das hat mir meine Mama als Kind immer vorgelesen!" wahrscheinlich nie wieder erholt.
Neben Tucholskys fröhlicheren Texten lernte ich nun auch seine politischen Gedichte wie "Das Dritte Reich" oder "Deutschland erwache!" kennen, unglaublich mutige Widersprüche zur gängigen Volksverdummung. Tucholsky begab sich damit wissentlich in große Gefahr, in der Hoffnung, sein Land wieder zur Besinnung zu bringen. Meine Zuneigung steigerte sich zur Heldenverehrung. Und noch heute ist meine Antwort auf die Frage, ob ich ein Idol habe, ohne zu zögern "Kurt Tucholsky!". Erich Kästner hat ihn mal folgendermaßen beschrieben: "Ein kleiner, dicker Berliner, der mit der Schreibmaschine eine Katastrophe aufhalten wollte." Tucholsky, als überzeugter Pazifist und viel zu klug und zynisch, um auf die braune Brut hereinzufallen, wehrte sich mit scharfsinnigen Gedichten gegen das Fortschreiten des Nationalsozialismus und schenkte dabei Deutschland großartige Gedanken in irrsinnigem Umfang. Deutschland verbrannte sie. Das muss man sich mal vorstellen. Studenten. Die BÜCHER verbrennen. Mir kommt die Galle hoch, wenn ich daran denke. Wie blind kann man sein.
Tucholskys Kampf war aussichtslos und letztendlich resignierte er. Tod im schwedischen Exil 1935, Überdosis Tabletten. "Daß unsere Welt in Deutschland zu existieren aufgehört hat, brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen. Und daher: Werde ich erst amal das Maul halten. Gegen einen Ozean pfeift man nicht an." (Aus einem Brief an Hasenclever, 1933)
Aber seine Werke haben sich erhalten. Und dem Mann, der mal gefragt hat: „Das, worum mir manchmal so bange ist, ist die Wirkung meiner Arbeit. Hat sie eine?" antworte ich:
Lieber Herr Tucholsky,
fast 80 Jahre nach Ihrem Tod sitzt ein Mädchen in Berlin. Zwei Straßen weiter von dort, wo Sie einmal gewohnt haben. Sie hat Ihre Gedichte in der Schule gelesen, zusammen mit jedem anderen deutschen Kind ihrer Generation. Und sollte die deutsche Geschichte jemals drohen, sich zu wiederholen, dann hofft sie, dass diese Kinder aufstehen werden mit den Worten:
Und wenn Deutschland schläft –: Wir sind wach!
Den Worten Kurt Tucholskys.