Was kann man mit Lyrik machen? Abitur zum Beispiel. So in BaWü:
Aufgabe IV: Liebeslyrik
Zu vergleichen war ein Sonett von Rainer Maria Rilke mit einem Gedicht von Volker Braun, thematische Gemeinsamkeit die notwendige Veränderung des Individuums durch die Liebe bis zu Selbstverlust und Hingabe.
Sprachlich gesehen waren diese Gedichte recht einfach zu deuten, da nicht so metaphernüberfrachtet wie z.B. das von Dagmar Nick im Abitur 2009. Dennoch bilden die Rilkeschen Enjambements und religiösen Anspielungen sicherlich einige Stolpersteine.
Volker Brauns Sprache wirkt alltäglich, ist dennoch mit Bedacht konstruiert. Stolperstein ist hier für mich die Frage nach dem Geschlecht des lyrischen Ichs. Alle mir bekannten Interpretationen haben es bei Volker Braun ebenfalls, wie im Rilke-Gedicht, weiblich gesehen. In meinen Augen ist jedoch trotz „er küsst mich, ich küsst ihn“ nicht festgelegt, dass das lyrische Ich weiblich sein muss. Einige Textstellen lassen das Gedicht auch als ,outing‘ („Reden uns aus uns heraus“) eines männlichen lyrischen Ichs klingen, was endlich mit sich und seiner sexuellen Orientierung im Einklang sein kann: „Meinen ganzen Leib / Nehm ich nun ein“ – „Ich geb mich ihm hin / Und gehör doch mir.“
Aber solche offene Denkweise war von den SchülerInnen, zumal in einem Abituraufsatz, sicherlich nicht zu verlangen.
Aber schön, daß da die Lehrer so offen sind. Obwohl ich immer sage: dieser Inhalt existiert nur, weil es diesen Deutschunterricht gibt. Ist für den Rest der (Lyrik-)Welt aber sooowas von Null. (Sollte man mal Braun sagen, daß seine Liebesgedichte schwul sind. Der weiß das bestimmt noch nicht.)