96: Die 50+1 Regel

Erstellt am 14. September 2010 von Stscherer

Bayer 04 Leverkusen und VFL Wolfsburg, der letzte und der nächste Gegner meiner geliebten (Wein-)Roten Riesen“, haben etwas gemeinsam, was sie wiederum deutlich von Hannover 96 unterscheidet: sie sind (jedenfalls, so weit es ihre Lizenzspielerabteilungen betrifft) zu 100% von Konzernen (Bayer, VW) vereinnahmt.

Was ist daran so interessant? Na, die sogenannte 50+1-Regel!

Der DfB legte zum Schutz des Wettbewerbs in den Profiabteilungen der deutschen Fußballligen in seiner Satzung fest, dass ein Verein nur eine Lizenz erhalten kann, wenn „50 Prozent zuzüglich mindestens eines weiteren Stimmanteils in der Versammlung der Anteilseigner“ der „Mutterverein“ innehat. Diese Regelung wurde wörtlich in die Satzung der DFL übernommen.

Mit dieser Regelung soll verhindert werden, dass Großunternehmen oder andere Kapitalgeber die vollständige Kontrolle über die Profimannschaften von Vereinen übernehmen, wie dies zB in England der Fall ist. So sollen die sportlichen Interessen der Vereine vor den wirtschaftlichen Interessen der Investoren gewahrt werden.

Allerdings gibt es viele wettwerbsrechtliche Bedenken gegen die Regelung in Deutschland, und auch in Deutschland ließ der Ligaverband in seiner Satzung Ausnahmen zu:

„Über Ausnahmen vom Erfordernis einer mehrheitlichen Beteiligung des Muttervereins nur in Fällen, in denen ein Wirtschaftsunternehmen seit mehr als 20 Jahren vor dem 1.1.1999 den Fußballsport des Muttervereins ununterbrochen und erheblich gefördert hat, entscheidet der Vorstand des Ligaverbandes.“ Man könnte das durchaus als „Lex Bayer“ oder „Lex Volkswagen“ bezeichnen, denn zukünftig können sich andere Unternehmen ein solches Privileg ja nicht erdienen – Martin Kind ist ja immerhin schon seit 1997 Präsident bei Hannover 96….

Der eingeweihte Fussballfan weiss, dass eben dieser, unser Präsident Martin Kind (im Zweitberuf Hörgerätehersteller) diese Regelung gerne abgeschafft haben möchte (selbst weitere sieben Jahre würden ihm ja keinen „Bayer-Status“ verschaffen), aber alle anderen „Vereine“ im bezahlten Fussball sind gegen diese Abschaffung.

Trotz der im Vorfeld geäusserten massiven Ablehnung hat  Hannover 96 hat auf der Mitgliederversammlung des Ligaverbandes am 10. November 2009 einen Antrag zur Änderung der 50+1-Regel eingebracht, der dort aber mit großer Mehrheit abgelehnt wurde. Ebenso wurde ein Antrag vom Zweitligisten FSV Frankfurt abgelehnt, in dem die DFL damit beauftragt werden sollte, ein neues Modell zu erarbeiten, welches Investoren mehr Möglichkeiten bietet, aber dennoch eine vollständige Übernahme verhindern sollte.

Doch so schnell geben sturmfeste und erdverwachsene Niedersachsen nicht auf: Hannover 96 hat inzwischen eine Klage beim Ständigen Schiedsgericht, das für Streitigkeiten zwischen den Vereinen und Ligaverband, DFL und/oder DFB zuständig ist, eingereicht. Die Entscheidung steht noch aus – vielleicht auch deswegen, weil bei einer Ablehnung des Antrags Martin Kind schon angekündigt hat, den Weg vor die ordentlichen Gerichte zu gehen.

Machen wir uns nichts vor: in der Öffentlichkeit wird Herr Kind und damit auch Hannover 96 immer dafür gescholten, gegen die 50+1-Regel vorzugehen, und auch bei Fans ist dieser Vorstoss auf – vorsichtig ausgedrückt – Ablehnung gestossen; aber kann man nicht tatsächlich eine ganze Menge gegen diese Regel einwenden?

So wird vielfach kritisiert wird, dass sie gegen europäisches Recht verstoße – und viele Entscheidungen des EuGH deuten darauf hin, dass die Kritik wohl mehr als berechtigt ist.

Weiterhin bemängeln sogar andere deutsche Vereinsmanager nicht zu Unrecht, dass die Bundesliga im internationalen Vergleich zu anderen Profiligen in finanziellen Rückstand gerate.

Im übrigen ist die 50+1-Regel auch ein „stumpfes Schwert“, weil durch die Möglichkeit, dass ein Unternehmen die Mehrheit des Kapitals stellen kann, eine „extreme wirtschaftliche Abhängigkeit“ entsteht; da gibt es eine Reihe von Beispielen:

Das Kapital der Betreibergesellschaft der TSG 1899 Hoffenheim wird zu 96 Prozent von Dietmar Hopp (SAP) gestellt, allerdings ist sein Stimmrecht auf 49 Prozent beschränkt ist. Die TSG hat einen komentenhaften Aufstieg aus den unteren Ligen direkt in die Spitzengruppe der Bundesliga angetreten, und das ist zeitlich mehr als eng mit dem Einstieg des Investors verbunden.

Der nächste steht schon in den Startlöchern: Beim R(asen)B(allsport) Leipzig e.V. haben (ähnlich wie beim FC Red Bull Salzburg in Österreich) nur 7 dem Unternehmen R(ed) B(ull) nahe stehende Gründungsmitglieder ein Stimmrecht im Verein, das Markenzeichen des Unternehmens findet sich im übrigen auch mehr als deutlich im Vereinswappen. Der RB Leipzig plant den Durchmarsch in die Bundesliga.

Und dann sind da ja noch unsere Werksvereine Bayer 04 Leverkusen und Vfl Wolfsburg… die man in Fankreisen bezeichnenderweise als „Die Pillendreher“ und „Die Radkappen“ bezeichnet…

Und wozu führt das im Ergebnis: zu einer massiven Wettbewerbsverzerrung! Machen wir uns nichts vor, ohne die Millionen der multinationalen Konzerne wären Mannschaften wie Leverkusen und Wolfsburg gegenüber Traditionsmannschaften wie Köln, Schalke, Dortmund, Hannover und – ja, ich muss es schreiben, auch wenn es weh tut – Br……..weig gar nicht wettbewerbsfähig; aber durch die offen gegen die Satzung der DFL verstossenden 100%igen Übernahmen (natürlich durch die obige Ausnahmeregelung formell legitimiert) können diese Vereine aus dem Vollen schöpfen; aktuelles Beispiel der Transferbilanzen:

Lev Transferbilanz: – 4.15 Mio. EUR

Wob Transferbilanz: – 16.5 Mio. EUR

96 Transferbilanz: – 0.45 Mio. EUR

Also allein im Bereich der Ablösesummen konnten die beiden Werksvereine ein Vielfaches ausgeben als Hannover 96 – und woher kommen wohl die insgesamt über 20 (!) Millionen, die man mehr ausgegeben als eingenommen hat? Ein Schelm, wer da beim Kauf eines VW Golf oder eines Schmerzmittelchens Böses annimm t….

Man kann über die Art diskutieren, wie Martin Kind die Chancengleichheit wieder herstellen will, aber im Kern hat der Präsident von Hannover 96 Recht: ein Traditionsverein wie 96 kann mittelfristig nicht gegen bestimmte Mannschaften bestehen: zum einen, weil die sich selbst eine wirtschaftliche Macht erarbeitet haben (Hochachtung dafür nach München, die heutige wirtschaftliche Stärke ist das Ergebnis einer sehr guten Vereinspolitik), weil sie Schulden gegen jede Vernunft machen (Schalke), weil sie eine überragendes Fanpotential haben (Schalke, Dortmund) oder weil sie schlicht Werkstruppen oder Einzelgründungen von Grosskonzernen sind.

Es wäre schön, wenn die (wirtschaftliche) Fairness in der Bundeliga wieder Platz greifen würde.


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