96. Anruf bei Goethe genügt

Falkner montiert und verfremdet Bruchstücke, am liebsten von Büchner, Goethe, Hölderlin, immer mit dem Ziel, eine Fallhöhe auszuloten zwischen den Hochphasen abendländischer Kultur und der Welt von heute. Aus einem radikalen Defizitempfinden heraus macht er sich zum Anwalt des hohen Tons, nur um im nächsten Moment dem Pathos die Luft abzulassen: „Wer nicht nach oben blickt / findet das Höhere nie. Ihr glaubt es nicht: Anruf bei Goethe genügt!“

Falkners poetologisches Programm erschöpft sich aber nicht in der spielerischen Dekonstruktion literarischer Vorbilder: Der Clash zwischen Tradition und Moderne, im Gedicht sprachlich ausgefochten, bleibt ohne Aussicht auf den Schlichterspruch. Falkner will die Konfrontation mit den Idealen vergangener Kunstepochen nicht ironisierend abfedern, sondern die Widersprüche gestalten. Diesen hochgesteckten Anspruch löst Falkner ein, wenn er lyrisches Pathos, (manipulierte) Idiome und IT- oder Werbejargon kollidieren lässt. Dazu gehört auch der Mut zu sagen: „Das Beispiel, das die Griechen gaben: / man wird es nicht mehr los“ – und darin weniger eine Zumutung als eine Herausforderung zu erkennen.

Umso bedauerlicher, dass er die durch den ganzen Band hindurch exponierte Diskrepanz zwischen antiker Hochkultur und modernem Alltag im letzten Gedicht in einem kulturpessimistischen Abgesang simplifiziert. Der Mensch im sinnentleerten Hier und Jetzt erlebt „Höhepunkte höchstens noch im Fußballfieber“, bevor sein Leben „im Lustigen verpufft“. Die von den Olympiern im Fries verkörperten Ideale von Größe, Schönheit und Kraft überfordern ihn: „Du sagst: mich lässt der Marmor kalt, die / alten Scherben // … ich habe keinen Sinn für etwas, das mich / übersteigt“. / Angela Sanmann, Tagesspiegel



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