Gedichte können durchaus süffig sein, deshalb müßte man das Jahr 2012 mit einem önologischen Vergleich wohl einen „gute Lyrikjahrgang“ nennen. Ohne Anspruch auf Repräsentativität seien an dieser Stelle vollkommen subjektiv Norbert Lange („Das Schiefe, das Harte und das Gemalene“), Marie T. Martin („Wisperzimmer“), Klaus Demus („Kosmos“), Ulrich Koch, Ludwig Steinherr und natürlich Thilo Krause genannt, deren Bände bereits erschienen sind oder demnächst noch erscheinen. Unbedingt gehört auch Jürgen Nendza in diese Reihe, dessen wunderbar komprimierte Sammlung „Apfel und Amsel“ jüngst im Verlag des Poetenladens veröffentlicht worden ist.
Apfel & Amsel, an dieser Alliteration ist nichts aufdringlich, sie gehört in den Alltag, zum eigenen Garten womöglich, und aus genau dieser vermeintlichen, allein vom Titel herausbeschworenen Bekanntheit entwickelt Jürgen Nendza eine neue und intensivere Art des Sehens, in der die Barrieren von Landschaft und Selbst allmählich füreinander durchlässig werden. Dabei zitiert jene Alliteration, nicht zufällig auf den ersten Buchstaben des Alphabets, gleichsam die traditionellen Bilder für Erkenntnis und Freiheit; und ein solches morgendliches Aufbruchserlebnis, das in dauernder Suchbewegung zwischen dem Subjekt und den Objekten oszilliert, versetzt die Gedichte in Schwingung, ins Schweben, ins pendelnde Annähern und Wieder-Abrücken. Ist das Ungenügen der Worte zu groß, bleibt die Versicherung des Sichtbaren, Greifbaren dahinter, „dieses Tasten / nach der Hand, wenn die Sätze sich verlaufen“. / Jürgen Brôcan, fixpoetry
Jürgen Nendza: Apfel und Amsel. Poetenladen, Leipzig 2012. 72 S., 16.80 Euro ISBN 978-3-940691-36-1