WF SCHMID: Ich find ja das Rezeptionspotential des Buches zwischen Gedichtband und Ausstellungskatalog spannend. Wenn wir mal nur vom Text ohne seine Funktion innerhalb der Ausstellung ausgehen: Siehst Du, in Hinblick auf Deine Dichtung, das Buch widerspruchsfrei als Gedichtband?
GERHARD FALKNER: Ich höre es bei Dir zwischen den Zeilen immer ein bisschen knistern und knirschen.
Wir haben in Deiner Frage weder die Priorität, das Sujet oder Genre, noch die Reihenfolge erfasst. Ausstellungskatalog passt wirklich gar nicht. Zwar gibt oder gab es gerade diese „Ausstellungen“ zu diesem Thema, das Panorama von Asisi und die Zusatzausstellung „Pergamon“ im Nordflügel, die sind aber nicht Gegenstand der Texte. Der Fries ist nicht (oder nur über umständliche Begrifflichkeiten) eine Ausstellung, sondern er erscheint als ein zentrales Kunstwerk der Kunstgeschichte, wie etwa der Kodex des Hammurabi, das babylonische Ischtartor oder das Markttor von Milet.
Die Texte sind nicht ausstellungsbezogen, sondern penetrant und immanent auf die Gigantomachie.
Sie sind entstanden, ich wiederhole das, als Texte zu Video-Clips, die das Museum für Werbezwecke bei Bboxx-Filme in Auftrag gab. Sie mussten eine gewisse Verständlichkeit aufweisen, ohne vor den Weichspülverfahren der Werbebranche in die Knie zu gehen.
Dass wir das erreicht haben, zeigt der Erfolg, zu dem wesentlich die beiden Filmemacher beigetragen haben. Die Aufrufe, wenn man Youtube und die Plattformen des Pergamon Museums zusammennimmt, gehen bereits in die Zehntausende.
Wann hat Lyrik zuletzt so etwas erreicht?
Der wunderbare Artikel von Gustav Seibt in der SZ war ja nur der Startschuss. Die Filme werden demnächst auf der Agora in Athen gezeigt, sind prominent am Eröffnungsabend des ILB nach der Rede von Liao Yiwu platziert und stehen im nächsten Semester in Harvard auf dem Vorlesungsplan. Das Pergamon Museum hat auf Grund des Erfolgs sogar den Kino Trailer in den Berliner Kinos ein zweites Mal aufgenommen. Wir haben damit den Beweis geliefert, dass auch komplexe und poetische Texte als Werbung (die das permanent leugnet), funktionieren können.
Erst wenn diese Gedanken alle bedacht und abgehandelt sind, dann kommt der Gedichtband.
Ich hatte zuerst auch die Bedenken, O Gott, enttäusche ich mit dieser etwas leichteren Zugänglichkeit das kleine Häuflein Eingeschworener, das jede Bühne stürmt, die sich darauf einlässt, als leeres Haus zu enden.
Und dann, ja natürlich sehe ich das Buch schlussendlich, nachdem ich es auf einen entsprechenden Umfang erweitern konnte, als Gedichtband. Als was sonst.
Nachdem ich es geschafft habe, dass praktisch jeder meiner Gedichtbände sehr unterschiedlich ist, gibt es somit einen neuen, der dieses Kriterium ebenfalls erfüllt. Und auch der nächste, der in Arbeit ist, wird dies wieder in einer sehr anderen Weise und dann auch wieder formal komplexeren Weise sein.
Ob widerspruchsfrei, das würde ich auch da mit Vergnügen nicht garantieren.
(…)
WF SCHMID: Da gibst du aber (unbewusst?) auch gut Verweise zu den Gedichten selbst. Also jetzt hier die Oper, die keinen geringen Platz einnimmt, und weiter oben natürlich das Kino des Frieses, der in den Gedichten immer in Bewegung ist. Wie wichtig ist Dir eigentlich das jetztzeitliche surrounding der Texte wie etwa auch der Klingeltondownload oder die Frage nach den Gigabyte des Frieses?
Das trägt ja auch nicht wenig zu den Brüchen bei. Da fällt mir aber grad noch auf, dass das ja auch für die Markierung des Rezeptionisten-Blickwinkels der Texte sorgt. Was war deine primäre Absicht mit dem „surrounding“?
GERHARD FALKNER: Mir ist das sehr wichtig, denn nur dadurch lässt sich erhalten, was Dichtung durch alle Zeiten hindurch bestandsfähig gemacht hat.
Den Löwen von gestern füttern mit den Gazellen von heute. Ottos Mops kotzt hat uns zwar alle amüsiert, aber wir möchten es ja nach allem, was sich bis dahin in der und durch die Dichtung bewegt hat, auch nicht dabei bewenden lassen. Schließlich hatten die Deutschlehrer 30 Jahre lang ihren Spaß damit.
Ich jedenfalls ziele eher auf die Eingeweide, das Gehirn jetzt mal dazugezählt. Mir sind sublime und auratische Zugänge zur Sprache wichtig, die müssen aber durch zeitgemäße Verfahren und Vokabularien immer neu erschlossen werden. Es muss aus der Hüfte kommen und ins Schwarze treffen.
Alles Basteln in der Literatur ist mir ein Gräuel.
Zur Zeit arbeite ich an einem Gedichtband, der „Schorfheide“ heißen wird. Im Untertitel: „Verlandschaftlichung von Libellen, neurologischem Gras und Denkmodellen.“
Da komme ich dann noch mal aus einer ganz anderen Ecke, indem ich versuchen werde, Naturgedichte auf ihre Diskursbelastbarkeit zu prüfen, und sie trotzdem so aussehen zu lassen, wie Kirchenlieder.