Von 500 v. Chr. bis heute: Diese sieben Vorurteile haben Frauen fast immer begleitet
Die Vorurteile, die die Autorin zu den Kapiteln ihres Buches gemacht hat, werden denkenden Frauen gegenüber nach Ansicht von Beatrix Langner seit Jahr und Tag gepflegt: Sie sind im Grunde Männer, sie sind göttlich, gefährlich, unsexy, Egoisten und schlechte Mütter und retten die Welt. In allen diesen von Männern aufgestellten Thesen spiegelt sich die Definition der Frau durch diese wider, die sie fast die ganze Geschichte hindurch auf ihre Körperlichkeit reduziert haben: Frauen gebären die Kinder, stillen sie und ziehen sie auf. Und Schluss. Diese Haltung hat eine sehr lange Tradition und ist schon von Homer und Aristoteles überliefert. Nur Pythagoras kommt bei der Autorin besser weg: Er ist ihrer Ansicht nach der einzige Philosoph, der nicht frauenfeindlich war. Die Erkenntnis, dass Frauen ein denkendes Gehirn haben, das dem der Männer gleichwertig ist, hat 3.000 Jahre in Anspruch genommen und ist noch nicht so ausgeprägt, dass die Gleichheit durchgängig praktiziert werden würde. Ein Beispiel ist der im Buch nicht thematisierte Frauenanteil unter den hauptberuflichen Professoren an deutschen Hochschulen: Er lag 2015 bei 22,7 %; unter Professoren, die einen Lehrstuhl inne hatten (C4-Professoren) betrug der Anteil sogar nur 11,4 %. (Quelle: Statistisches Bundesamt)
Ein interessanter Gedanke: Wer macht die Geschichte?
Langner erläutert sehr anschaulich, wie die Geschichtsschreibung bislang zustande kam: Männer waren diejenigen, denen der Zugang zu Bildung und Wissenschaft möglich war. Folglich ist das, was wir aus der Geschichte kennen und was immer weiter überliefert wurde, das Vergangene aus männlicher Sicht. Sie haben bestimmt, was es wert war, weitergegeben zu werden. Ein Beispiel hierfür ist Émilie du Châtelet, die Lebensgefährtin des Philosophen und Schriftstellers Voltaire. Sie war Mitte des 18. Jahrhunderts als Mathematikerin, Physikerin und Philosophin einigermaßen bekannt, aber aufgrund der damals herrschenden Verhältnisse wurde ihr die Anerkennung, die ihr für ihre wissenschaftlichen Leistungen zugestanden hätte, verwehrt. Um 1740 hat sie ihre Werke veröffentlicht, die sich hinsichtlich ihres Niveaus mit denen von Gottfried Wilhelm Leibniz, Leonhard Euler und auch Voltaire messen konnte. Aber weil nicht sein konnte, was nicht sein durfte, beschränkte sich die Anerkennung ihrer wissenschaftlichen Leistung darauf, dass Voltaire einräumte, dass die Mitarbeit von Émilie du Châtelet am Sachbuch „Elemente der Philosophie Newtons“ wesentlich war. Auf dem Titelblatt stand hingegen nur der Name Voltaire.
Was taten Frauen, um das zu tun, was sie wollten?
Anfang des 20. Jahrhunderts machten mit den Suffragetten und den Sozialistinnen der II. Internationale britische und US-amerikanische Frauenrechtlerinnen mobil: Es ging um das Wahlrecht für Frauen, aber auch um den Zugang zu Universitäten. Doch die Frauen hatten einen schweren Stand: Männliche Akademiker hielten mit Publikationen dagegen. So veröffentlichte der Psychiater und Neurologe Paul Möbius 1900 sein Essay „Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes“, in dem er behauptete, Frauen hätten von vornherein eine geringere geistige Begabung als Männer. So versuchte er dazu beizutragen, den Zugang von Frauen zum Medizinstudium zu verhindern. Diese hanebüchene Schrift ist noch heute erhältlich, ganz im Gegensatz zu den Veröffentlichungen von Émilie du Châtelet.Ähnlich abenteuerliche Theorien stellte auch Siegmund Freud auf: Er vertrat die Meinung, dass das Fehlen des Penis‘ sich bei der Frau in ihrem unbewussten Seelenleben durch Hysterie, schwache Nerven und Ohnmachten ausdrückt. Das weibliche Selbstwertgefühl werde dadurch geschwächt, dass Frauen zwanghaft ihre männlich-väterlichen Seelenteile verdrängen wollten. Man mag das heute amüsant finden, aber zu ihrer Zeit fanden diese Äußerungen Gehör und ernteten reichlich (männliche) Zustimmung.Doch Frauen, die unbedingt am wissenschaftlichen oder literarischen Leben aktiv teilhaben wollten, wussten sich in einigen Fällen zu helfen: Das, was heute unter dem Begriff „Cross-Dressing“ bekannt ist, also das Tragen von Kleidung, die typisch für das andere Geschlecht ist, wurde von Frauen schon im 17. Jahrhundert eingesetzt, um Eingang in die Männerwelt zu finden. Auch, unter einem männlichen Pseudonym Veröffentlichungen herauszugeben, war nicht unüblich.
Kein reines Sachbuch, sondern ein Essay
Frauen wurden stets so behandelt, wie es Tradition war. Erst in den letzten etwa 50 Jahren begann sich das zu ändern, was durch den beginnenden Feminismus und zahlreiche Gender-Studien ausgelöst wurde. Auch, wenn hier eventuell der Eindruck entstanden sein mag: Die 7 größten Irrtümer über Frauen, die denken ist kein feministisches Kampfbuch. Beatrix Langner plädiert vielmehr für den gemeinsamen Blick von Frauen und Männern auf die Probleme unserer Zeit. Von einer jeweils egoistischen Sicht der Geschlechter auf sich hält sie nicht viel, sondern wünscht sich einen gemeinsamen Entwurf für die Zukunft.Die 7 größten Irrtümer über Frauen, die denken ist ein kulturgeschichtlich anspruchsvolles Buch, das häufig zwischen den einzelnen Epochen pendelt. Das macht das Lesen nicht leichter, aber es lohnt sich, am Ball zu bleiben. Die Autorin hat ein trotz des ernsten Themas unterhaltsames Essay verfasst, von dem ich mir am Ende allerdings eine klarere Formulierung gewünscht hätte, wie sie sich konkret dieses Miteinander von Frauen und Männern auf Augenhöhe jetzt und in Zukunft vorstellt.
Die 7 größten Irrtümer über Frauen, die denken ist im Verlag Matthes & Seitz erschienen und kostet als gebundene Ausgabe 22,-- Euro sowie als Kindle- oder epub-Version 16,99 Euro.