Er putschte mit Hitler gegen die Demokratie: General Erich Ludendorff. Am 9. November 1923, fünf Jahre nachdem Philipp Scheidemann die (Weimarer) Republik ausgerufen hat und heute vor 90 Jahren, will Adolf Hitler die Regierung stürzen. Ludendorff, der gefeierte Feldherr des Ersten Weltkrieges, soll von München aus einen Marsch auf Berlin anführen, dessen Ziel die Machtergreifung ist. Dass sich der ehemalige Erste Generalquartiermeister mit dem einstigen Gefreiten Hitler einlassen würde, hat er selbst lange nicht geglaubt. Aber Ludendorffs Lebensgeschichte ist ein Sinnbild für Glanz und Niedergang des alten Preußens: Geboren ist er 1865 in der Provinz Posen. Ludendorff schlägt eine militärische Karriere ein und bringt es bis zum Generalstabsoffizier. Strategie ist seine Stärke und das erkennt auch die Heeresleitung. Ludendorff arbeitet am Schlieffen-Plan mit und auf eine Blitz-Offensive an der Westfront hin. Insbesondere die Eroberung von Lüttich trägt seine Handschrift. Als es allerdings im Osten nicht gut bestellt ist, schickt der Oberste Kriegsherr, Kaiser Wilhelm II., den alten Haudegen General Paul von Hindenburg an die Front. Hindenburg strahlt eine unerschütterliche Ruhe und Zuversicht aus.
Was ihm an strategischer Raffinesse fehlt, soll Ludendorff ersetzen. Der versteht es glänzend, Hindenburg ins Rampenlicht zu schieben, während er selbst die Strippen zieht. Die taktisch meisterhaft geführten Schlachten bei Tannenberg und an den Masurischen Seen (1914) lassen Hindenburg zum Volkshelden werden. Der "eigentliche Könner" (Golo Mann) aber war Ludendorff. Das bleibt er auch, als der Kaiser Hindenburg die Oberste Heeresleitung anvertraut. Wieder repräsentiert der würdevolle Generalfeldmarschall von Hindenburg, wieder brilliert Ludendorff als kühler Berechner am Kartentisch und in der Kriegskunst: Er beendet das Gemetzel vor Verdun, weil er sieht, dass diese Materialschlacht nicht zu gewinnen ist. Er zieht sich die taktische Defensive zurück und stabilisiert damit nicht nur die Front, sondern auch die Kampfmoral, weil endlich wieder Auszeiten vom Schützengraben möglich werden. Er motiviert auch die heimische Kriegsindustrie und kann damit Artellerie und Luftwaffe deutlich ausbauen. Hier blitzen noch einmal preußische Tugenden auf: Diszipliniertes und selbstloses Arbeiten (Ludendorff brütet unermüdlich über Heeresberichten und Plänen), straffe Organisation (die Restrukturierung der Kriegsführung wird binnen kurzer Zeit ins Werk gesetzt) und Effizienz (die deutsche Armee ist sowohl was die Zahl ihrer Soldaten als auch was ihre Materialausstattung betrifft im Hintertreffen). Alles in allem gibt Ludendorff den Deutschen die bereits verlorene Hoffnung auf einen erfolgreiches Ende des Waffengangs zurück. Das könnte auch in Friedensverhandlungen mit den kriegsmüden Alliierten bestehen. Aber Ludendorff - das verbindet ihn mit Hitler - will Alles oder Nichts, Triumpf oder Untergang. Mit der ganz und gar unpreußischen Entscheidung für den unbeschränkten U-Boot überreizt er sein Blatt. Spätestens mit dem Eingreifen der Amerikaner ist ein deutscher Kriegstriumpf nicht mehr denkbar. Als Ludendorff das erkennt, überlässt er die Verantwortung feige den Sozialdemokraten. Als die damit beginnen, die Scherben des in Trümmern geschlagenen Kaiserreichs aufzukehren, zerbricht er mutwillig das übrig gebliebene Porzellan und schiebt der Politik die Schuld für die Niederlage in die Schuhe, um die junge Demokratie zu schwächen (Dolchstoßlegende).
Ludendorff und HitlerSolch feiges und hinterlistiges Kalkül hat dem dem Preußen von einst nichts mehr gemein. Es passt ins Bild, dass Ludendorff sich von Hitlers Plänen benutzen lässt. Wie er selbst lässt Hitler keine Gelegenheit aus, um die "Novemberverbrecher" vom Herbst 1918 anzugreifen (gemeint sind die beherzten Republikgründer). Ludendorff wittert die Chance, noch einmal die Geschicke Deutschlands zu lenken. Er willigt ein und führt Hitlers Putschisten an. Weit kommen sie nicht. An der Feldherrenhalle (immer noch in München) ist der Staatsstreich beendet (vom Sperrfeuer der bayrischen Polizei). Während Hitler zu Festungshaft verurteilt wird, sprechen die Richter Ludendorff frei - wegen seiner Verdienste im Ersten Weltkrieg. Die Deutschen sehen das ein bißchen anders: Als Ludendorff 1925 Reichspräsident werden will, da bekommt er nur ein Prozent der Stimmen, Wie wenig zu diesem Zeitpunkt auch vom umsichtigen Feldherrn noch übrig ist, beweisen seine kruden Verschwörungstheorien. Ludendorff verdächtigt die Jesuiten, Freimaurer und Juden, sich gegen Deutschland verbündet zu haben und stilisiert sich als Opfer dieser Ränkeschmiede. Einen einzigen klaren Moment soll er noch gehabt haben, ehe er 1937 starb: "Ich prophezeihe Ihnen feierlich" soll Ludendorff seinen alten Kameraden Hindenburg gewarnt haben, ehe der Hitler zum Reichskanzler ernannte, "ich prophezeie Ihnen feierlich, dass dieser unselige Mann unsere Nation in unfaßbares Elend bringen wird."
Fundstück aus der Eulenbibliothek: "Fort mit der Dolchstoßlegende!"
Zur Dolchstoßlegende habe ich neulich eine unverhoffte Entdeckung gemacht - und zwar ausgerechnet im hintersten Winkel meines Schreibtischs. Der leistet zwar schon lange den Uhls treue Dienste, aber erst seit kurzem in der der Eulenbibliothek. In der linken Schublade lag also das Heftchen "Fort mit der Dolchstoßlegende" aus dem Jahr 1922, verfasst vom damaligen Innenminister Adolf Köster (SPD): Der schreibt: "Nach der Ludendorff-Legende hat die politische Leitung Deutschlands [...] vollkommen versagt." Dann wehrt er sich für die die junge Demokratie: "Ich bin fest überzeugt, dass die Fehler, die die militärisch-politische Leitung des deutschen Volkes während des Krieges gemacht hat, alles das in den Schatten stellen..."