9. Mai 2012, Seifenoperblasenoberflächenspannung, 5.50 Uhr

Von Guidorohm

Sie will es sein, eine Kämpferin, die sich nicht hier im Sofa festhalten muss, das ihr so traurig vorkommt wie der Rest der Wohnung. Sie will sich gar nicht erst umsehen, sie kennt die Schränke, die Tapete, den Teppich, der schon drin lag, als sie die Wohnung vom Vormieter übernahm, und der ihr erklärte, der Teppich müsse nicht drin bleiben, der könne raus, er würde sogar dazu raten, denn der bringe Pech. Natürlich hat sie das geflissentlich überhört, weil weder Teppiche noch Wolken noch sonst etwas ins Unglück stürzen, sondern nur Menschen und das, was sie einander antun.
Sie könnte ihn rausreißen, denn wer weiß, vielleicht ist er an allem schuld, daran dass Harald gegangen ist, mit einem lauten Knall und sie zurückgelassen hat. Sie würde jetzt gerne den Kopf schütteln, wenn, ja, wenn der nicht so schwer wäre; er fühlt sich an, als würden alle Gewichte der Welt dran hängen. Sie kann nichts machen. Nur sitzen bleiben.
Sie ist keine Frau, sie will sich nicht als Frau fühlen, sondern als Mensch, das müssen die doch mal einsehen, auch wenn sie gar nicht weiß, wer die oder die oder die oder die sind. Vermaledeite Situation.
Der Teppich. Sie könnte sich auf den Boden setzen und ihn anknabbern, ihn auffressen, bis nichts mehr von ihm übrig ist. Könnte sie, und dann? Hätte sich nichts geändert, auch wenn ihr dann wenigstens schlecht wäre und sie einen Grund zum Heulen hätte.
Hat sie doch jetzt auch. Verlassen wird man nicht alle Tage.
Scheiß auf ihn, scheiß auf alle.
Sie schaltet den Fernseher ein und freut sich auf STURMERPOBTE LIEBE.
Ja, für Sekunden, Minuten, für eine halbe Stunde darf sie alles sein, was ihr Freundinnen und Kollegen nie zugestehen würden.
Sie wird ihre Tränen laufen lassen, unbefangen und froh, nicht gesehen zu werden.
Die Scham bringt sie beinahe um, also lässt sie die Rollläden nach unten und sitzt vor dem blöden Fernseher und schnieft und weint und weiß nicht weiter, weil Robert Anna mit Susie betrogen hat.
Sie werden zueinander finden, bestimmt, und wenn nicht heute, dann in einer der nächsten Folgen. Das Fernsehleben endet nicht hier in diesem Augenblick.
Sie wischt sich eine besonders fette Träne von der Backe, strahlt und lacht und freut sich, weil es klingelt und sie keine Zeit hat, zu erfahren, ob es Harald oder jemand anders ist. Harald. Bestimmt. Sie kann es sich einreden.
Sie bleibt sitzen, weil sie bei all dem geballten Leben keine Zeit für Türen und Teppiche und sich hat.
Jetzt nur nicht wegsehen, denn jetzt öffnet sich die Tür zu Annas Schlafzimmer und man sieht, wie sie …
Sie muss lächeln, weil ihr der Gedanke kommt, wie schlimm es wäre, wenn sie jetzt erblinden würde.
Nein, denkt sie und ist enttäuscht, weil sie das Anna nie zugetraut hätte.
Was für ein Tag, erst die Sache mit Harald, dann das mit Robert und Anna und Susie und jetzt geschieht auch noch ein Unfall.
Graf Anselm Horn rast mit seinem Sportwagen in den Anhänger eines Lkws.
Sie atmet nicht.

ENDE

(Wird nicht fortgesetzt.)