9. Januar 2011, Heute wird Rohm noch schweigen (1), 7.54 Uhr

Kaffee, Zigarette. Was sonst? Ich werde schweigen. Werde nichts für die Pathologie schreiben. So ist es angekündigt. So soll es bleiben. Es soll als ewiges Gesetz durch die Hallen der Pathologie schallen. KÖNNT IHR MEIN SCHWEIGEN HÖREN? Das Schweigen hallt. Ich lausche meiner eigenen verebbenden Stimme, die an den Wänden meines Kopfes zerschellt. Unwetter ziehen durch meine Hirnflure. Durchstöbern Abstellkammern. Hier wird nichts geschrieben. Regen patscht unbekümmert gegen die Fensterscheibe. Tauwetter. Der kalte Krieg wird vom heißen Krieg abgelöst. Die Sonne klebt noch zu tief im Osten. Man kann sie nicht sehen. Nur hoffen auf die Wiederholung bisheriger Aufgänge. Aber was ist, wenn ihr Kommen ausbleibt?

Rohm sitzt und liest seine Worte. Er schüttelt den Kopf. So etwas wollte er überhaupt nicht schreiben. Er wollte gar nichts schreiben. Wollte wenigstens einmal Wort halten und zu seinem angekündigten Schweigen stehen. Es bei der Hand nehmen und durch die nächste Woche schleifen. Und jetzt sitzt er doch hier und tippt, lauscht auf die Regentropfen, die sich nervös auf den Dachfenstern niederlassen.
Wie Fallschirmspringer einer Armee, die ich nicht verstehe, denkt er.
Und dann denkt er: Warum denke ich solche seltsamen Dinge?
Ob da etwas mit ihm nicht stimmt? Er kann das nicht beantworten. Eben war er noch fort, weit weg in seinem Kopf und in einem Land namens Absurdistan und jetzt hockt er schon wieder vor seinem Tastenklavier und produziert diese nervig gleichen Töne.
Musik für Schwachköpfe!
Rohm beugt sich über den Becher, der links von ihm auf einem Untersetzer steht. Er linst hinein. Leer. Das ist immer so. Ein weiteres ewiges Gesetz. Unterhalb des Bechers liegen unter zwei Kugelschreibern Karten, die er in Absurdistan kaufte. Er war im Urlaub dort. Er könnte darüber schreiben. Er will es nicht.
Vielleicht später, denkt er. Vielleicht später.
Und dann denkt er: Nie!
Beschämt erinnert er sich an seine Urlaubslektüre. All die schönen Pferde. Wie kann man nach einem solchen Buch noch ans Schreiben denken?
Also spricht er leise vor sich hin: Ich werde nicht mehr schreiben, nie und nimmer mehr, da können sie machen was sie wollen, wer auch immer, ich will doch hoffen, da findet sich jemand, der mich zurück halten würde …
Rohm blickt sich hektisch um. Frau und Kind schlafen. Sie wühlen sich durch ihre Decken. Das könnte er jetzt so aufschreiben, ohne es wirklich zu wissen.
Er überliest noch einmal seinen kleinen Text.
Den werde ich veröffentlichen. Nur diesen einen kleinen Text, denkt er, aber dann werde ich schweigen. Vorerst.
Er rutscht unruhig auf seinem Stuhl hin und her, wartet auf eine Regung, auf das Leben. Er wäre schon froh, endlich etwas von seinem Wellensittich Frederick zu hören, aber selbst der schläft noch und schweigt.
Der macht es richtig, denkt Rohm.
Er drückt sich vom Stuhl hoch, um eine Zigarette rauchen zu gehen. Draußen dämmert es. Er atmet erleichtert auf. Da ist sie ja, die Sonne. Er wusste es. Auf die Wiederkehr des Gleichen ist verlass. Er läuft an seinen Nietzscheausgaben vorüber. Grüßt sie, indem er sich mit zwei Fingern an die Stirn tippt.
Dann segnet er den aufbrechenden Tag.



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