9 Gründe, warum der “Tagesbedarf” nicht ganz ernst zu nehmen ist

Von Nocatherine

Ich bin Biochemiker. Das bedeutet auch, ich schaue gerne hinten auf die Verpackung von Lebensmitteln und studiere, was wo wieviel enthalten ist. Nicht nur die Zutatenliste, sondern auch die Mengenangaben von Eiweiß, Kohlenhydraten, Ballaststoffen, Vitaminen, Mineralstoffen. Oft komme ich ins Staunen, oft muss ich aber auch denken, dass so viele Verbraucher getäuscht oder unter Druck gesetzt werden.

Als Beispiel nehme ich Ovomaltine (ein schweizerisches Kakao-ähnliches Getränk, ähnlich dem gleichnamigen Brotaufstrich) welches mit Vitaminen versetzt wird, her:

100g Ovomaltine enthalten dann z.B. 34% des Tagesbearfs an Vitamin C, 44% des Tagesbedarfs von Vitamin B6 usw.

Ein unwissender Konsument liest das, und denkt sich: “Das schmeckt gut, und ich decke meinen Vitamin-Bedarf. Gekauft!”

Doch ganz so einfach ist das nicht. Und inwiefern sollten wir beim Kauf von Lebensmitteln den Tagesbedarf an Nährstoffen im Hintergrund behalten? Sollten wir das überhaupt tun?

Nun, es ist gut, im Hinterkopf zu haben, was wir ungefähr brauchen und wieviel. Doch wir sollten uns vom “Tagesbedarf” NIE beim Einkauf unter Druck setzen lassen. Warum? Lest selbst:

Was ist der Tagesbedarf?

In einem Satz: Es ist eine Mengenangabe zu einem Nährstoff, wieviel ein 70kg schwerer Mann durchschnittlich davon pro Tag zum Aufrechterhalten seiner Körperfunktionen benötigt.

Warum ist der Tagesbedarf nicht ganz ernst zu nehmen?

1.) Der Tagesbedarf ist standardisiert,

und zwar auf einen 70kg schweren Mann mittleren Alters. Ein 40kg schweres Kind benötigt dementsprechend andere Nährstoffe (z.B. mehr Kalzium, Eiweiß und Vitamin C) als dieser Mann. Genauso benötigt ein aktiver, 25-jähriger Sportler andere Nährstoffe (z.B. Elektrolyte und Eiweiß) als ein 50-jähriger Couch-Potatoe. Zwischen den Geschlechtern kann das auch variieren, z.B. brauchen Frauen (auf die selbe Masse bezogen) weniger Zink als Männer, dafür mehr Eisen.

Der Tagesbedarf ist also nicht ohne weiteres verallgemeinerbar. Mein beliebtestes Beispiel dafür sind die empfohlenen 100mg Vitamin C pro Tag. Allein auf meine Masse bezogen wären das 132mg. Leichter Unterschied.

Erste Verwirrung …

2.) Der Tagesbedarf variiert von Instanz zu Instanz

Jede Instanz, welche Ernährungsempfehlungen herausgibt, benutzt andere Quellen für ihre Empfehlungen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt pro Tag 100mg Vitamin C [1], woanders liest man von 70mg [2] oder der veraltete Wert von 50mg (zum Glück auf 100mg korrigiert).

Doch welche Instanz hat Recht? Liegt die Wahrheit in der Mitte? Wieviel brauche ich wirklich?

Weitere Verwirrung.

3.) Oftmals entspricht der Tagesbedarf dem Mindesttagesbedarf,

um Krankheiten zu entgehen. Also liegt der eigentliche Tagesbedarf oft erheblich höher.

Als Beispiel wieder Vitamin C: die Empfehlungen lagen lange Zeit bei 50mg pro Tag. Man sollte meinen, mit 50mg pro Tag ist man “gesund”. Leider entsprechen 50mg aber dem Mindesttagesbedarf von Vitamin C, um Mangel-Krankheiten wie Skorbut zu entgehen (eine Mangel-Krankheit, bei der das Zahnfleisch blutig und locker wird und die Zähne beginnen auszufallen) [3]. Der wirkliche Bedarf des Körpers liegt höher, zum Glück wurde bzgl. Vit. C hier korrigiert. Was aber nicht bedeutet, dass bei anderen Nährstoffen die Angaben noch aktuell oder für den Körper “richtig” sind.

Meiner Meinung nach sind auch die Empfehlungen zum Eiweißkonsum zu niedrig [4]. Unser Körper besteht aus Eiweiß, Eiweiß erledigt nahezu alle Aufgaben im Körper, von chemischen Reaktionen bis hin zur Bewegung des Körpers (Muskeln). Warum die Empfehlung, 50g auch nicht zu übersteigen (da Nierenprobleme etc.),immer noch aktuell ist, obwohl es gesundheitlich besser wäre, mehr Eiweiß zu essen, ist mir immer noch nicht gekommen. Die Empfehlung von 50g pro Tag könnte problemlos verdoppelt werden.

4.) Der Tagesbedarf entspricht nicht dem, was unser Körper gewohnt ist

99,5% der Menschheitsgeschichte haben wir uns steinzeitlich ernährt, also was es zu Jagen und zu Sammeln gab. Der Konsum von Obst, Gemüse und anderen Vitamin C-haltigen Nahrungsmitteln war dementsprechend höher als heute in unserer westlichen Standard-Ernährung [5]. Entsprechend hat sich unser Körper über die Jahrmillionen an einen hohe Aufnahme von Vitamin C gewöhnt und wird sich das zu Nutzen gemacht haben (Evolution und Selektion, z.B. ist Vit. C ein starkes Antioxidationsmittel, was bei 100mg pro Tag kaum zur Geltung kommen kann).

Ein Argument mehr, den Tagesbedarf vieler Nährstoffe höher anzusetzen, als sie heute sind.

Soweit für heute, damit der Artikel nicht zu lang wird, wird er ein Zweiteiler. Morgen gibts den zweiten Teil. Bis dahin ein schönes Wochenende :)


Einsortiert unter:Ernährung Tagged: DGE, Empfehlung, Ernährung, Tagesbedarf, Vitamine