In einem Youtube-Clip vom vorigen Februar beginnt Hiromi Ito eine Lesung aus ihrem Erzählgedicht “I Am Anjuhimeko (Watashi wa Anjuhimeko de aru)” im Museum of Modern Literature in Aomori, indem sie mit der Handfläche laut und wiederholt auf den Tisch schlägt. Ihre Stimme verrät Dringlichkeit, Verwirrung, Panik und das verzweifelte Bemühen, komplexe Ideen mit alarmerregendem Tempo wiederzugeben:
none of that really matters anyway, but that’s not what father says, he says let’s try burying her in the sand and waiting three years, mother was willing to just go along with that, that was a big disappointment, but, well, here’s the problem, I’m just a newborn who can’t even see, and I can’t even utter a word to talk back, so I was wrapped in my mother’s silk underclothes and buried in a sandy spot near a river
“I Am Anjuhimeko” basiert auf einer mündlichen Text, der seit mehr als 2000 Jahren im nordöstlichen Japan weitergegeben wird.
Ito erzählt die alte Geschichte nicht einfach nach, sie findet eine Stelle in ihrem Inneren, durch die sie den Geist Anjuhimekos und ihrer Mutter leiten kann. Ihr selbst wiederfahren die Schrecken der vor langer Zeit getanen Reise, daher Dringlichkeit, Panik und Verzweiflung.
Kein Wunder, daß die Presse so oft das Wort Schamanin benutzt. Das Wort ist ihr wichtig.
“Ich habe diese Fähigkeit nicht”, sagte sie der Japan Times vor kurzem in einem Interview in ihrer kalifornischen Wohnung. “Aber meine Großmutter und Mutter gehörte zu diesen Menschen. Manche Menschen erreichen Gott und können die Zukunft vorhersagen oder so etwas. Vor dem 2. Weltkrieg wurden diese Fähigkeiten in der japanischen Gesellschaft akzeptiert. Ich dachte nie darüber nach, ob ich an so etwas glaube, aber als ich mit Lesungen anfing, dachte ich mir, vielleicht ist das was ich tue gar nicht so anders. Die Extase, die ich beim Lesen erreichen konnte, das Gefühl, etwas erreicht zu haben. Ich fühlte eine Verbindung zu meiner Mutter und Großmutter.”
Ito wurde 1955 in Tokio geboren. Ihr erster Gedichtband “The Plants and the Sky (Kusaki no Sora)” wurde 1978 mit dem Gendai-shi Techo Award ausgezeichnet. Sie wurde zur Speerspitze der Frauendichtung der 80er Jahre, einer Bewegung, zu der auch Toshiko Hirata, Yoko Isaka and Koko Shiraishi gehörten.
Ihre Bände “On Territory 1 (Teritori ron 1)”, 1985, und “On Territory 2 (Teritori ron 2)”, 1988, waren Wegweiser weiblichen Ausdrucks, die sich mit Themen beschäftigten, die bis dahin in der japanischen Lyrik ignoriert worden waren: intime Einblicke in weibliches sexuelles Begehren, die Funktionsweise des weiblichen Körpers sowie Körperlichkeit und emotionalen Aufruhr von Schwangerschaft und Geburt. Sie wurde augenblicklich zur Feministin erklärt, aber der Ausdruck ist zu einfach.
“Zwischen 20 und Anfang 30 mochte ich es nicht, wenn man mich Feministin nannte. Man versuchte mich einzuordnen und ich haßte es. Ich wollte Dichter sein, nicht “Dichterin”. Ich widersetzte mich der Art und Weise, wie Männer uns zur Seite zu drängen versuchten, uns nicht zum Mainstream der Lyrik zuließen.”
Itos bekanntestes Gedicht ist das unvergeßliche “Killing Kanoko (Kanoko-goroshi)”, ein intensiver persönlicher Bericht über eine schwere Depression nach der Geburt ihrer ersten Tochter. Sie stellt grausige Kindsmordphantasien neben die guten Wünsche von Familie und Freunden.
Happy Kanoko
Bites off my nipples
Congratulations congratulations
Gleefully I would like
To get rid of Kanoko
Without melancholy, without guilt
I want to get rid of Kanoko in Tokyo
Congratulations
Congratulations on your destruction
Congratulations on your destruction
/ DAVID HOENIGMAN, The Japan Times 19.2.
Hiromi Itō im Poetry International Web / Film von einer gekürzten Lesung von Killing Kanoto