87. Zu Liesbet Dill, Gottfried Benn und Edith Cavell

In der Sendung “Literatur im Gespräch”

Nachgespürt von Gerd Schäfer

Für einen Literaturfreund erweist sich ein alter Ehe-Skandal im Saarland geradezu als Glücksfall. Denn Liesbet Dill, geboren 1877 in Dudweiler, gestorben 1962 in Wiesbaden, trennte sich von ihrem Mann, dem Juristen Gustav Seibert, um im Jahre 1905 ihre große Liebe Wilhelm von Drigalski zu heiraten.

Drigalski, ein Schüler Robert Kochs, war ein Bakteriologe, der während des Ersten Weltkriegs zur sogenannten “deutschen Kolonie” in Brüssel gehörte. Zu seinen Untergebenen gehörte ein junger Mediziner, der bereits 1912 einen vielbeachteten Lyrikband vorgelegt hatte, die “Morgue”-Gedichte. Die Rede ist von Gottfried Benn. Benn war als ärztlicher Beobachter bei der Exekution der britischen Krankenschwester Edith Cavell anwesend, die während der deutschen Besatzung Belgiens wegen Fluchthilfe für alliierte Soldaten hingerichtet wurde, als “glorious victim of German barbarity”.

Alfred Döblin, Thomas Mann und Arnold Zweig kommen in ihrem Werk darauf zu sprechen. Auch Benn widmete eine seiner bekanntesten Veröffentlichungen jenem Ereignis, die Zeitungsreportage “Wie Miss Cavell erschossen wurde”. Dieser Bericht sollte viele Jahre später, in der Zeit des Nationalsozialismus, eine große Bedeutung für Benn erlangen. Nicht zuletzt Liesbet Dill nutzte Leben und Tod von Cavell als Vorlage für ihren 1917 erschienenen Roman “Die Spionin”, in dem Benn als anonyme Figur auftaucht, in einer Passage, die uns heute noch einmal die Facette seiner kalten Persönlichkeit vermittelt.

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