Auf der Suche nach Google-Kunst und ihren Folgen trifft man zunächst auf ein einziges Wort. Es ist ein komisches Wort – Flarf. Heißt nichts, bedeutet nichts, klingt aber irgendwie flauschig. Flarf. In Deutschland ist Flarf gar nicht weiter bekannt, in den Vereinigten Staaten schon. Da gibt es ein ganzes Flarf-Kollektiv, und es dichtet, meistens mit Hilfe von Google. Vor zehn Jahren kam der New Yorker Comiczeichner und Gelegenheitsdichter Gary Sullivan auf die Idee, das hoffentlich schlechteste Gedicht der Welt bei einem Literaturwettbewerb der Seite poetry.com einzureichen. Es hieß „Mm-hmm“.
Er gewann, Flarf war geboren. Von nun an ging es ihm darum, möglichst lustige, politisch inkorrekte, subversive, unflätige, anzügliche – irgendwie jedenfalls unpassende Gedichte zu schreiben. Die Clique seiner Dichterkollegen in New York hielt das für eine zeitgemäße Idee (es war die Bush-Ära) und schloss sich an. Wer von ihnen auf den Namen „Flarf“ kam, weiß Sullivan nicht mehr, aber er definiert es folgendermaßen: „Flarf besitzt die Eigenschaft des Flarfigen.“ Im März 2001 richten sich die Flarfisten eine Mailingliste ein und beginnen, Gedichte hin und her zu schicken, die aus Versatzstücken von Google-Suchergebnissen bestehen. (…)
Ist Flarf mehr Genie oder bloße Kopie? K. Silem Mohammad sollte zur Beantwortung dieser Frage etwas beitragen können. Er gehört ebenfalls zum Flarf-Kollektiv und ist der Inbegriff des gelehrten Dichters. Mohammad unterrichtet Literatur an der Southern Oregon University, das merkt man. Seine Flarf-Texte sind voller Anspielungen auf Gedichte von Milton, Keats oder Wallace Stevens. Ist Flarf denn akademisch? „Alles ist potentiell akademisch.“ Ist Flarf politisch? „Insofern als seine Mitwirkenden Steuern zahlen und wählen, ja.“ Ist das ganze Flarf-Dichten und -Googeln ein großer ironischer Spaß? „Zu 63,7 Prozent ja.“
Diese mitunter böse Ironie kam nach dem 11. September richtig in Mode. Nach einer mehrwöchigen Ruhepause dichtete man aus Google-Ergebnissen zu George Bush und seiner War-on-terror-Rhetorik böse Spottgedichte. Mittlerweile ist aus den Google-Gedichten der Mailingliste eine Anthologie geworden, die im Herbst dieses Jahres auf den Markt kommt. Die einzelnen Dichter selbst haben längst ganze Bücher mit ihren Gedichtvarianten veröffentlicht. Manche betonen, dass Flarf auch ohne Google-Bruchstücke machbar sei, es gehe ja darum, möglichst skurrile, etwas abartige Texte zu schaffen. Letztes Jahr im Sommer widmete das amerikanische „Poetry Magazine“ dem Kollektiv ein „all flarf issue“. Über Flarf wird sogar promoviert.
/ Christiane Reitz, FAZ