87. Dorfschreiber

Von Lnpoe

Und dann gibt es natürlich noch die Aufenthaltsstipendien. Über welche die Salzburgerin Bettina Balakà (Salzburger Lyrikpreis, Theodor-Körner-Preis, Alfred-Gesswein-Literaturpreis) in ihrem jüngsten Roman “Kassiopeia” ihren Protagonisten, einen Schriftsteller, in durchaus anmutiger Manier schimpfen lässt. Nicht nur würde, so der in memoriam Thomas Bernhard sudernde Protagonist, mit Substandardauszeichnungen in Substandardwohnungen gelockt werden. Nein, die jeweilige Gemeinde erwarte auch noch vielfältige kulturelle Beiträge des Stipendiaten – als Vorleser, als Volksbildner, als Präsentator seiner selbst, als Protokollant des so überschäumend interessanten Lebens in dem jeweiligen überschäumend interessanten Flecken.

All das, um reale Beispiele zu benennen, in Orten wie Bergen-Enkheim, einem gesichtslosen Vorort des gesichtslosen Frankfurts am Main. Oder in Edenkoben im pfälzischen Nirgendwo. Als “Esslinger Bahnwärter”! Als “Burgschreiber zu Beeskow” (sechs Monate à 750 Euro), lieblich auf halber Strecke zwischen Müllrose und Goyatz im tiefsten Brandenburg gelegen. Als Stadtschreiber in Otterndorf (Einwohnerzahl: 7000) zwischen dem AKW Brunsbüttel und dem desolaten Bremerhaven. Als Krimi-Stadtschreiber im kriminalitätsschütteren Flensburg; oder für drei bis neun (!) Monate auf dem Künstlerhof Schreyahn in Lüchow im Wendland, umgeben von den weltbekannten Orten Lemgow, Lübbow, Waddeweitz und Schnega, der Hof wird analog zur nahen Atommülllagerstätte Gorleben als “Stipendienstätte” angepriesen. Oder als Dorfschreiber in Villgraten/Osttirol. / Alexander Kluy, Wiener Zeitung

(im Artikel auch über andere Preistypen und Preise an sich)