86. Selbstkorrektur

Keine Dichterin deutscher Sprache hat das Publikum so polarisiert wie Ulla Hahn. Die nüchternen „Alltagslyriker“ ärgerte sie Anfang der Achtzigerjahre mit melodiösen Volksliedstrophen. Die Rondos und Sonette der promovierten Literaturwissenschaftlerin knüpften geradewegs an die klassisch-romantische Tradition mit ihrem Regelmaß von Metrum und Rhythmus an. Sowohl Sprachkrisen der Moderne abhold als auch der postmodernen Beliebigkeit, pflegt sie die mit ironischen Schlenkern gewürzte Harmonie in geordneten Strophen und wohltönenden Reimen. Dem Jubel Marcel Reich-Ranickis anlässlich ihres Debüts folgten kritische Hiebe: „Gegenwartsferne liebliche Idyllen!“, „literarisches Biedermeier!“, „Butzenscheibenlyrik!“ konterte der mürrisch verstimmte Teil der Literaturkritik. Nun nähert sich Ulla Hahn ihren Versen von einst aus der Perspektive einer in Jahrzehnten gewonnenen Lebenserfahrung.

Insbesondere ihre ersten vier Gedichtbände: „Herz über Kopf“ (1981), „Spielende“ (1983), „Freudenfeuer“ (1985) und „Unerhörte Nähe“ (1988) bedenkt sie mit temperamentvollen Repliken. Was die „Wiederworte“ so spektakulär macht, ist der Verzicht auf glättendes Tandaradei. Es dominiert die poetische Selbstkorrektur. Das hätte sie angesichts der hohen Verkaufszahlen ihrer Bücher (Lyrikbände mit mehr als 40 000 verkauften Exemplaren) gar nicht nötig. Aber es zeugt von Mut und ungebremster Lebhaftigkeit der Autorin, die sich mehr als Fühlende denn als Denkende begreift: „Herz über Kopf“. / Dorothea von Törne, Die Welt

Ulla Hahn: Wiederworte. DVA, München. 192 S., 16,99 Euro.



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