80. Gedichte mit Arsch in der Hose

Junge Welt, Mittwoch 12. Oktober 2011

Tom Bresemanns zweiter Lyrikband erfordert mündige Leser

Von Peggy Neidel

Das Lyrikdebüt des Berliners Tom Bresemann vor einigen Jahren wurde als das eines „zornigen jungen Mannes“ bezeichnet. Die Wut scheint noch nicht verflogen und hilft offenbar, inhaltliche Belanglosigkeit zu vermeiden. In seinem zweiten Band „Berliner Fenster“ hält Bresemann weiterhin Ohrfeigen und nasse Handtücher bereit. „stellt angestellte aus / und aufsteller ein! / karma kapitalismus: / wieder so ein ohrwurm. / reclaim the claims. // im fernsehen grassieren flüchtlings- / camps, supported by Reebok. // du auf der couch, mit deinen tele- / prompteraugen, und ich / nebenan, als host- / age eines realityformats.“

Anglophilie mag bei manchem Stilmittel sein, um Texte aufzuhübschen oder jugendliches Sprachdraufgängertum zu beweisen. Bresemann dagegen entlarvt mit dem Denglisch-Sprech alltägliche Phrasen, sucht immer die Ironie als Spitze der geballten Faust, um mit jener seinen Unmut am Heute deutlich zu machen. Das belebt und reinigt das innere Ohr; die Mischung aus sinnigem Aussagesatz gepaart mit Wortneuschöpfungen á la „clipmoppgeklapper“, „assimilationsinschallah“ oder„kirmeszickezacke“ tut dann ihr übriges, um immer wieder aufzurütteln. In ihrer Art haben die Gedichte gesellschaftliche Funktion, weil sie dazu auffordern, mitzudenken, Fragen zu stellen, Realität zu reflektieren. Das ist eben auch Kunst: Sie piekt und bietet wenig Erquickung für Schutzsuchende oder Mondanbeter.

Die Realität im Allgemeinen und die Berliner Realität im besondern ist Bresemanns Referenzmaterial: sozialer Abstieg, Werbeflut, Migration, Gated Communities, happy Gleichgültigkeit – der Autor spricht den Leser an und spricht ihn wach. Das ist erklärtes poetologisches Ziel. In den Anmerkungen nennt er seine Gedichte „unverhohlene Gesprächsangebote“, die unbequem sein müssen, die „Arsch in der Hose haben“ sollen. Da fliegt das nasse Handtuch nach Berlin, ins „happy- / endantlitz der innenstadt“, in der man das „mediasexuelle topevent aus der deckung“ betrachten kann. Oder es fliegt in entgegengesetzte Richtung: „Oh große Bleiche Westdeutschland / mit deinen a.D.-Nazimüllern, / deinen Vorgartenrinkmännern! / O faule Leiche Westdeutschland, / riechst aus dem Dortmund / wie aus dem Darmstadt“. Leider überschlägt sich Bresemann manchmal vor lauter Spott und schickt seine Gedichte ins Kalauerhafte. Wenn sich der Autor zu sehr aufregt und dadurch sein Feingefühl für Kritik verlorengeht, kann es schon mal möchte-gern-poetisch werden („die karotten / unserer geschlechtsorganik verreißen / den stammwuchs im eiswald“) oder eben reibungsarm, ergo platt („die welt war ein scheißhaus“).

Generell übertreibt Bresemann gern mit dem Griff unter die Gürtellinie. Er mag genervt sein vom Lyrik-Langeweileschreiberling, vom Selbstbespiegelungsmonster deutscher Dichterstätten, vom Wahnsinn der Welt: Seinem Protest verleiht man nicht mehr Ausdruck, indem man sprachlich in unteren Kategorien wandert. Je mehr Penisse, vaginale Ergüsse oder Sperma am Anus, desto weniger glüht der Leser mit. Dennoch überwiegt ein positives Fazit, denn Bresemanns Gedichte haben oft unschlagbares Stichelpotenzial. Und auch, wenn es wieder sexuell wird, ein wenig davon steht den Gedichten des Wutschreiberlings Bresemann ganz gut zu Gesicht: „heute (…) putz ich meine schuhe, / fahr zum zoo und lass mir einen blasen – // so beginnt ein tag wohl / -gesetzten epigonentums, / und wenn schon – / wenigstens well dressed“.

Tom Bresemann: Berliner Fenster. Gedichte. Berlin Verlag, Berlin 2011, 94 S., 16 Euro


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