74. Ästhetik der Dissidenz

Von Lnpoe

Eine wesentlich konturiertere Ästhetik der Dissidenz finden wir in der vierten Ausgabe des Literatur­heftes „randnummer“. Hier kann man kleine Meisterstücke entdecken, etwa die „bild­gebenden verfahren“ des Dichters Nicolai Kobus, eine kleine, artistisch gefügte Kollektion von Gemäldegedichten. Der verstörendste Text des Heftes ist freilich eine kleine Rollenprosa des Dichters Konstantin Ames, die in die Spätzeit der DDR zurückblendet und ein saarländisch-brandenburgisches Dichtertreffen rekonstruiert. Eine Episode, die offen lässt, inwieweit sie als Fiktion oder als klandestines Protokoll zu lesen ist.

Als schrille Neutöner, die auf die bewährten Verfahren der schnellen Schnitte und der schroffen Montage­techniken setzen, exponieren sich in der „randnummer“ und im „]trash[pool“ die Lyriker Kristoffer Cornils und Richard Duraj. Der 1987 geborene Cornils präsentiert eine „Haiku­zerstückelung“, die sich aggressiv gibt, gleichwohl – ähnlich wie in Brinkmanns „Highkuh“-Adaption – die mystischen Qualitäten der japanischen Gedichtform erhalten will. / Michael Braun, Poetenladen

Randnummer No 4  
c/o S. Kornappel, Okerstr. 43, 12049 Berlin. 108 S., 5 Euro.

Trashpool, Heft 2 (2011)  
Neckarhalde 8, 72070 Tübingen. 104 S., 5,20 Euro.