72. Nacht des lächelnden Kapitalismus

Von Lnpoe

Ein wenig ähnelt der koreanische Dichter Choi Seung Ho jener Seidenraupe, die er in einem Gedicht besingt. So unterschiedlich sind seine Verse bisweilen, dass man meinen möchte, er könne vom einen zum anderen Gedicht nur dank einer Metamorphose gelangt sein. Mit Vorliebe begibt sich Choi in die «Nacht des lächelnden Kapitalismus» und lauscht dem «Lärm dieser Welt». Dort schreibt er Gedichte mit unverkennbar politischen Anspielungen. Es ist eine Welt der «grölenden Leere», die er vor uns auffaltet, eine Welt, in der die Angestellten vor Kaffeeautomaten warten und vor lauter Müdigkeit kaum mehr stehen können. Zwischen «Klimpermusikanten», billigen Kinos und «Paradise Shopping»-Meilen geht Choi der Routine des Alltags ebenso nach wie «Vergnügungen in der weltlichen Stadt». / Nico Bleutge, NZZ 8.3.

Choi Seung Ho: Autobiografie aus Eis. Gedichte. Aus dem Koreanischen von Kyunghee Park und Kurt Drawert. Wallstein-Verlag, Göttingen 2011. 144 S., Fr. 28.50.