Was macht die niedersächsische Landeshauptstadt aus?
Wodurch wird eine Stadt mächtig?
Hachmeister spürt den hannöverschen Machtbestrebungen nach und sieht sich dabei die Werdegänge von unterschiedlichen Persönlichkeiten an, die mit Hannover in Verbindung gebracht werden. Das reicht von Rudolf Augstein, der die Wochenzeitschrift DER SPIEGEL in Hannover gegründet hat, über Gerhard Schröder, Sigmar Gabriel, Christian Wulff, den Scorpions und Fury in the Slaughterhouse bis hin zu den Hell's Angels mit dem früheren Chef des Hannover-Chapters Frank Hanebuth.Hannover leidet darunter, von außen betrachtet als spießig und provinziell angesehen zu werden. Das liest man immer wieder, und das behauptet auch Lutz Hachmeister. Da stellt sich natürlich fast automatisch die Frage: Kann eine Stadt, die angeblich als ein Hort des Mittelmaßes und als Musterbeispiel der Unauffälligkeit verschrieen ist, in der Lage sein, nicht nur die Geschicke Niedersachsens, sondern sogar Deutschlands zu beeinflussen?
Hachmeister fackelt nicht lange und kommt nach einem kurzen historischen Rückblick auf das Geschlecht der Welfen und die Verbindungen zum englischen Königshaus dann auch flott in der jüngeren Geschichte der Stadt an der Leine an: Mit der fatalen Alkoholfahrt der früheren Bischöfin Margot Käßmann, dem Leben von Paul von Hindenburg als Ruheständler in Hannover, Theodor Lessing, Kurt Schumacher mit seinem "Büro Dr. Schumacher", das als "Gründungszelle der westdeutschen Sozialdemokratie" nach dem 2. Weltkrieg gilt und einem "Rundumschlag", in dem sich markante Orte in Hannover und längst verstorbene Prominente, die hier beeerdigt wurden, wiederfinden, zeichnet er ein erstes Bild der Landeshauptstadt. In dieser Reihenfolge.
Vieles ist bekannt, nur wenige Fakten sind neu
Wenn es um Hannover und Niedersachsen geht, darf der ehemalige Ministerpräsident Ernst Albrecht nicht fehlen. Der Vater der heutigen Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat das Land 14 Jahre lang regiert. Sein Name wird sowohl mit positiven Ereignissen wie der Aufnahme von 1.000 vietnamesischen Flüchtlingen als erstes Bundesland wie auch mit mindestens seltsamen Vorgängen in Verbindung gebracht: Die Entscheidung, den Salzstock Gorleben in unmittelbarer Nähe zur innerdeutschen Grenze zu einem atomaren Zwischenlager zu machen, war aus einem politischen Kalkül heraus getroffen worden und rief auf beiden Seiten der Mauer Proteste hervor. Zu den spektakulären Aktionen der Regierung Albrecht zählte das "Celler Loch": Mittels eines fingierten Anschlags wurde ein Loch in die Mauer des Hochsicherheitsgefängnisses Celle gesprengt, um V-Leute in die Rote Armee Fraktion (RAF) einzuschleusen. Die Hintergründe dieser 1978 durchgeführten Aktion wurden erst 1986 durch einen Artikel in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung aufgedeckt. Der Verfasser bekam dafür den Wächterpreis der deutschen Tagespresse.Selbstverständlich kommt auch der ehemalige niedersächsische Ministerpräsident und Ex-Kanzler Gerhard Schröder nicht zu kurz. Seinem Leben hat Hachmeister bis zum Jahr 2015 hinterhergeforscht, sodass auch die Trennung von seiner vierten Ehefrau Doris Schröder-Köpf nicht unerwähnt bleibt. Auch die Promi-Szene um Schröder wird näher ausgeleuchtet: Da ist der mit Finanzgeschäften sein Geld verdienende Carsten Maschmeyer, der in Hannover bekannte Rechtsanwalt Götz von Fromberg, mit dem Schröder lange Zeit eine Anwaltssozietät betrieb, Dirk Roßmann, Klaus Meine von den Scorpions oder der frühere TUI-Chef Michael Frenzel. Das Schlagwort "Frogs" wird im Buch immer wieder genannt: "Friends of Gerhard Schröder". Diese Wortschöpfung ist mir innerhalb Hannovers noch nicht begegnet, scheint aber in der Presse herumgereicht zu werden.
Christian Wulff wird ebenfalls viel Raum gewidmet. Sein Aufstieg vom Ministerpräsidenten zum Bundespräsidenten und sein freier Fall nach dem Rücktritt von diesem Amt wird noch einmal in allen Einzelheiten in Erinnerung gerufen.
Hannover als früheres Nazi-Nest?
Lutz Hachmeisters Recherchen haben ergeben, dass sich zahlreiche frühere NS-Größen nach dem Krieg in Hannover getummelt und rasch neue Positionen gefunden hatten. Der Hauptgrund war in vielen Fällen, dass diese Leute über Kompetenzen verfügten, die damals gebraucht wurden. So handhabte es beispielsweise auch der Stadtbaurat Rudolf Hillebrecht, der sein Amt in Hannover von 1948 bis 1975 inne hatte. Er hatte die damals als fortschrittlich geltende Vision einer autogerechten Stadt, die er mithilfe von Konstanty Gutschow, einem Architekten mit einem Faible für Monumentalbauwerke, der als treues NSDAP-Mitglied mit dem Ausbau der Stadt Hamburg zur "Führerstadt" betraut gewesen war, umsetzen wollte.Auch der SPIEGEL-Gründer Rudolf Augstein kommt bei Hachmeister nicht besonders gut weg. Er stellt dar, dass der Journalist 1949 eine ganze Reihe seiner Mitarbeiter aus der Reichskriminalpolizei und dem Sicherheitsdienst des Reichsführers SS (SD) rekrutiert hatte. Sie waren unter Augstein die Autoren wilder Artikel rund um den NS-Untergrund und jüdische "Displaced Persons", die durchgängig als Denunzianten, Hehler und Schmuggler dargestellt wurden.
Wie war's?
Für Leser, die sich mit der Stadt Hannover bislang noch nicht beschäftigt haben, ist Hannover - ein deutsches Machtzentrum ein guter Einstieg. Einheimischen dürften die meisten Dinge im Großen und Ganzen bekannt sein. Etwas ermüdend finde ich die bei manchen Personen akribische Schilderung ihres Lebenslaufs. Wo ist der Zusammenhang zum Buchtitel und dem Auf und Ab von Gerhard Schröders Ehen? Welchen Erkenntnisgewinn hat hier die Beschreibung der hannöverschen Bands Scorpions und Fury in the Slaughterhouse? Der Autor hat offensichtlich einen anderen Musikgeschmack, denn er hat für beide nur Spott übrig. Angesichts von in beiden Fällen jahrzehntelangen Karrieren ist das etwas unangemessen.Trotz aller Akribie bei der Zusammenstellung von Lebensläufen kommt es jedoch hin und wieder vor, dass es Hachmeister dann doch nicht so genau nimmt. So wird z. B. Gerhard Schröder der Erwerb des akademischen Grades des Diplom-Juristen im Jahr 1974 zugesprochen, den es in den alten Bundesländern allerdings erst seit 2001 gibt.
Hannover - ein deutsches Machtzentrum hätte ein spannenderes Buch werden können, wenn sich sein Autor an den selbstgewählten Titel gehalten hätte. Hier entstand aber immer wieder der Eindruck, dass zahlreiche Informationen nur deshalb gegeben wurden, um das Manuskript auf Buchstärke anschwellen zu lasen. Oder interessiert es ernsthaft jemanden, dass Gerhard Schröders Treffen mit Thomas Middelhoff (Ex-Bertelsmann- und Ex-Arcandor-Chef), Rolf-E. Breuer (Ex-Vorstandssprecher und ehemaliger Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen Bank) und Erich Schumann (damals Geschäftsführer der WAZ-Mediengruppe) im jetzt geschlossenen Restaurant "Gaststätte Fritz Wichmann" 2002 im Stadtteil Döhren stattgefunden hat? Dass trotz dieser übertriebenen und überflüssigen Genauigkeit der angegebene Straßenname falsch ist, kann man fast überlesen.
Andere Machtmenschen werden im Buch schlicht ignoriert: Utz Claassen, ehemaliger Chef von EnBW und Solar Millennium, ist gebürtiger Hannoveraner, hat dort studiert und war Kurzzeit-Präsident des Fußballclubs Hannover 96. Auch der Einfluss des Keksfabrikanten Werner Michael Bahlsen sollte nicht unterschätzt werden: Der erfolgreiche Unternehmer ist seit 2015 Vorsitzender des Wirtschaftsrates der CDU e. V. und beeinflusst so die Wirtschaftspolitik der CDU.
Zu einem wirklich guten Sachbuch hätte letztendlich mehr Objektivität und ein Fokus auf die wesentlichen Informationen gehört. Diesen Anspruch kann Hannover - ein deutsches Machtzentrum leider nicht erfüllen.