67. Geklagt wird immer

Der dänische Philosoph Georg Brandes, der 1927 starb, führt Beschwerde darüber, wie schlecht schon zu seiner Zeit gelesen worden sei. Was lesen die Leute? Zeitungen! Und wenn sie doch mal Bücher läsen (als wäre nur Bücherlesen richtiges Lesen), dann versorgten sie sich in Leihbibliotheken, selbst vornehme Damen, die den Gedanken, sich etwa ihre Garderobe leihen zu sollen, weit von sich weisen würden. Kauften sie dennoch ein Buch, so wären sie geradezu stolz darauf, es wie zufällig im Gepäcknetz der Eisenbahn liegen gelassen zu haben. Was für eine Achtung für Bücher beweise das? (…)

Sowohl Brandes als auch Gelernter stellen die Diagnose, dass es mit dem Lesen bergab gehe. Bemerkenswerterweise sehen sie, obwohl sie rund ein Jahrhundert trennt, beide ihre Zeitgenossen am so ziemlich selben historischen Punkt angelangt, nämlich dort, wo sich die uralten Kulturtechniken noch so gerade mit zwei Fingern am Rand des Abgrunds festklammern, bevor der endgültige Sturz erfolgt: ein Cliffhanger in Ewigkeit. Was für Brandes die Leihbibliothek, das ist für Gelernter das E-Book: das bedrohliche Gespenst einer Entleiblichung des Lese-Erlebnisses. Wer das Buch nach der Lektüre nicht ordnungsgemäß ins eigene Regal schiebt (Brandes empfiehlt dazu, es selbst binden zu lassen), der werde ihm untreu. Damit aber beziehen die beiden Bildungs-Advokaten, ohne es zu wollen, einen letztlich banausischen Standpunkt. Denn wo wirklich existiert das Buch, wenn nicht im Kopf des Lesers? Das Regal als solches ist ein Sarg. Mit dem Lesen steht es wie mit dem Leben im Allgemeinen: Es tendiert dazu, keine sichtbaren Spuren zu hinterlassen – und es kommt vor in tausend unkontrollierbaren Varietäten. Das Lesen mag sich ändern, bedroht ist es nicht. / Burkhard Müller, Süddeutsche Zeitung 27.7.



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