„Szukam słowa“: Ich suche Worte. So heißt das erste Gedicht, das die große Skeptikerin und Literatur-Nobelpreisträgerin Wisława Szymborska 1945 veröffentlichte*. Seit der ersten polnischen Teilung im Jahre 1772bis zur Gründung der Zweiten Republik 1918 und erst recht wieder nach dem deutschen Überfall 1939 ging es für die Schriftstellerunseres Nachbarlandes vor allem darum, Worte zur schwierigen bis prekären Lage ihrer Nation zu finden. „Die polnischen Dichter konnten es sich nie leisten, abseits ihrer Zeit zu stehen. Zu gewaltsam drängte sich die Geschichte in ihr Leben“, schreibt Karl Dedecius, aus Lodz stammender Gründer des Deutschen Polen-Instituts, im Nachwort zu den von ihm übersetzten „Polnischen Gedichten des 20. Jahrhunderts“. (…)
„Kosmische Weite der Vision und Großzügigkeit“ reklamierte Czesław Miłosz für seine Poesie. „Ich füge meine Worte / schleppe meine Zeit“ schrieb dagegen 1954 Tadeusz Różewicz. Als erster Lyriker Nachkriegspolens stieß er in Deutschland auf breite Resonanz. (…)
Der 31-jährige Danziger Tadeusz Dąbrowski, der zu den hoffnungsvollsten jüngeren Lyrikern zählt, schreibt in „Das zeitgenössische Gedicht“: „Früher nahm man an, es ernähre sich von menschlichem Blut, aber es / begnügt sich mit Fliegen, einem Maikäfer, einer Motte“. Damit bringt er den Bedeutungswandel, den die polnische Literatur seit 1989 erfahren hat, auf den Punkt. / Katrin Hillgruber, Tagesspiegel
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