Spätestens nach dem Ersten Weltkrieg beginnt die serbische Literatur das Schicksal anderer europäischer Literaturen zu teilen: Expressionistische Ambivalenz, avantgardistische Subversivität, moderne Ambitionen, ein hochmoderner Welthorizont bis hin zur postmodernen, skeptischen Verspieltheit. Nach dem Zweiten Weltkrieg, im Jahre 1948, brach Tito mit Stalin. Das hatte auch literarische Konsequenzen. Statt „sozrealistischer“ Langeweile wie im Ostblock war der Surrealismus die inoffizielle ästhetische Staatsdoktrin Jugoslawiens. …
Vor allem starke Lyrikerinnen aus mehreren Generationen, alle mit souveräner Stimme und oft mit feministischem Touch, sind auf der serbischen literarischen Szene präsent. Die Tendenz, dass Frauen sich ihren Platz erobern, zeichnet sich klar ab. Die Zukunft der serbischen Literatur wird zu einem großen Teil weiblich sein. Dies bestätigt die Lyrik von Dragana Mladenovic, die am Dienstag zusammen mit Goran Samardžić und Vladimir Pištalo im Literaturhaus Köln lesen wird. Ganz gleich, ob sie das alte Pathos der Lyrik mit neo-dadaistischem Genuss zersetzt oder Langgedichte über gesellschaftliche Tabus – Kriegsverbrechen inklusive – schreibt: ihre Stimme hat bereits einen unverwechselbaren Klang. / Dragoslav Dedovic, Kölner Stadtanzeiger