Dass aber ausgerechnet einer der Herausgeber eines der schönsten Gedichte aus Georges berühmtestem Band „Das Jahr der Seele“ – „Indes deine mutter dich stillt / Soll eine leidige fee / Von schatten singen und tod“ – als angebliche George-Parodie Ernst von Wolzogens zitiert (Seite 840), ist dann doch symptomatisch. Der Fauxpas unterstreicht, wie richtig die Forderung derjenigen ist, die angesichts der medialen Aufgeregtheiten um die Biographie Georges und der Skandalisierung seines Nachlebens mahnten, endlich wieder die Gedichte selbst zu lesen.* / Thomas Karlauf, FAZ.net 26.10.
„Stefan George und sein Kreis“ Ein Handbuch. Hrsg. Achim Aurnhammer, Wolfgang Braungart, Stefan Breuer, Ute Oelmann. Walter de Gruyter, Berlin/Boston, 2012. 3 Bde. 1868 S., geb., 399 Euro, vom 1.1.2013 an 499 Euro.
*) Richtig. Ich fang gleich mal an. Also ehrlich, bei den drei zitierten Versen kann man schon auf Parodie kommen, oder nicht? „Indes deine mutter dich stillt / Soll eine leidige fee / Von schatten singen und tod“. Wenn das eins der schönsten Gedichte seines berühmtesten Bandes ist, bleibt mir nichts übrig, als George zu seinem besten Parodisten höchstselbst zu erklären. Besser: zu erwählen. Noch besser: zu küren / erlesen / weihen. Denn darunter macht ers selten.
“Der Laie hat für gewöhnlich, sofern er ein Liebhaber von Gedichten ist, einen lebhaften Widerwillen gegen das, was man das Zerpflücken von Gedichten nennt, ein Heranführen kalter Logik, Herausreißen von Wörtern und Bildern aus diesen zarten blütenhaften Gebilden. Demgegenüber muß gesagt werden, daß nicht einmal Blumen verwelken, wenn man in sie hineinsticht. Gedichte sind, wenn sie überhaupt lebensfähig sind, ganz besonders lebensfähig und können die eingreifendsten Operationen überstehen. Ein schlechter Vers zerstört ein Gedicht noch keineswegs ganz und gar, so wie ein guter es noch nicht rettet. Das Herausspüren schlechter Verse ist die Kehrseite der Fähigkeit, ohne die von wirklicher Genußfähigkeit an Gedichten überhaupt nicht gesprochen werden kann, nämlich die Fähigkeit, gute Verse herauszuspüren.” / Bertolt Brecht