6. Kafkas Flatrate

Von Lnpoe
Am 3. Dezember 1992 wurde die erste Kurznachricht an ein Mobiltelefon geschickt. Anton G. Leitner, Herausgeber des Bandes „SMS-Lyrik“ und der Zeitschrift „Das Gedicht“, lässt sich von Nina May über das neue Text-Genre befragen. Per SMS natürlich.

Nina May (10.35 Uhr): Wenn Kafka heute leben würde, würde er seiner Verlobten Felice Bauer eine SMS senden?

Anton G. Leitner (10.50 Uhr): Kafka kann ich mir beim besten Willen nicht als Simsenden vorstellen. Er war obsessiver Briefeschreiber und hätte lange gesimst, um 782 Druckseiten Briefe zu übermitteln. Er hätte eine Felice-Bauer-Flat gebraucht

May (11.45 Uhr): ;-) Vielleicht hätte Kafka, der die Rohrpost als Beamter exzessiv nutzte, die Möglichkeit unablässiger Kommunikation auch geschätzt. Diese ständige Erreichbarkeit, was macht sie mit uns? Selbst Angela Merkel twittert und simst ja aus Sitzungen.

Leitner (12.20 Uhr): Die permanente Erreichbarkeit sorgt dafür, dass wir ständig aus Gedankenströmen herausgerissen werden. Und unterbricht lyrische Gedanken und Stimmungen.

May (12.35 Uhr): Aber die SMS hat mit dem Gedicht ja auch was gemein, woher käme sonst Ihr Band „SMS-Lyrik. 160 Zeichen Poesie“?

Leitner (12.40 Uhr): Die Gemeinsamkeit liegt in der Länge einer SMS Der Dichter als Kurzmitteiler …

/ Märkische Allgemeine